Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Viele neue Fragen im NSU-Ausschuss

Im Untersuchu­ngsausschu­ss zum NSU-Terror im Südwesten mehren sich die losen Enden

- Von Klaus Wieschemey­er

(klw) - Die parlamenta­rische Aufarbeitu­ng der NSU-Morde in Baden-Württember­g könnte sich jahrelang hinziehen: Nach einer Befragung von Journalist­en erklärten Untersuchu­ngsausschu­ssmitglied­er am Montag, man habe „viele neue Arbeitsauf­träge“. Der anvisierte Abschluss in 13 Monaten sei „sehr ambitionie­rt“. Zweifel gibt es an der These, der Heilbronne­r Polizisten­mord sei nur von den mutmaßlich­en NSUTerrori­sten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt worden.

- Mit dem NSU-Terror ist es wohl so, wie Stefan Aust es an diesem Montag im Stuttgarte­r Landtag formuliert: „Je weiter man sich in den Vorgang vertieft, desto mehr Ungereimth­eiten findet man“, sagt der Buchautor, einstige „Spiegel“-Chefredakt­eur und heutige „Welt“-Herausgebe­r.

Der 68-jährige Journalist steckt im Landtag in einer ungewohnte­n Rolle: Erstmals in seinem Leben ist er als Sachverstä­ndiger bei einem Untersuchu­ngsausschu­ss geladen. Aust soll den Abgeordnet­en helfen, eben jene Ungereimth­eiten in der NSU-Mordserie herauszuar­beiten. Vor allem geht es den Parlamenta­riern um den Polizisten­mord von Heilbronn 2007 und um die Frage, ob der NSU im Südwesten über ein Netz von Helfern und Informante­n verfügte.

Via Buch zum Sachverstä­ndigen

Zum Sachverstä­ndigen gemacht hat ihn das Buch „Heimatschu­tz“, in dem er zusammen mit Co-Autor Dirk Laabs auf 856 Seiten über die der rechtsextr­emen Terrorzell­e zugeschrie­benen zehn Morde und zahlreiche­n Überfälle und Anschläge schrieb. Und eben über die vielen Ungereimth­eiten.

Politiker fragen, Journalist­en antworten – im parlamenta­rischen Betrieb läuft es meistens umgekehrt. Und dass Journalist­en als Sachverstä­ndige in einem Untersuchu­ngsausschu­ss aussagen, ist auch ungewöhnli­ch, zumal sie sich bohrenden Fragen mit dem Hinweis auf Informante­nschutz entziehen können.

Es geht an diesem Montag auch weniger um Beweisaufn­ahme, als vielmehr um die Frage, wo die Abgeordnet­en bohren, welche Zeugen sie laden sollten.

Die Kernfrage ist nach wie vor offen: Waren die in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewette­r und ihr schwer verletzter Kollege Martin A. Zufallsopf­er einer Mörderband­e, die es generell auf Repräsenta­nten des Staates abgesehen hatte? Der SWR-Journalist Holger Schmidt kann sich das gut vorstellen.

Weil weder Landes- noch Bundeskrim­inalamt einen eigenen Beobachter beim laufenden NSU-Prozess in München haben, soll Schmidt am Montag den Abgeordnet­en seine Beobachtun­gen mitteilen. Schmidt spricht zwar auch von vielen Zufällen bei dem Fall. „Ein Krimi-Autor hätte damit den Plot seines Lebens gefunden“, sagt er. Doch bei genauerem Hinsehen bleibe vieles Spekulatio­n. Am Ende komme man „in den großen Bereich des Gegeben-Haben-Kann“, doch Belege fehlten.

Andere wollen hingegen nicht an so viele Zufälle glauben. Schmidts Kollege Thumilan Selvakumar­an vom „Haller Tagblatt“hält Verbindung­en zwischen dem rassistisc­hen Ku-Klux-Klan (KKK) im Südwesten (und speziell in Schwäbisch Hall) und dem NSU für wahrschein­lich. Immerhin war ein Polizist aus Kiesewette­rs Einheit KKK-Mitglied. Und V-Leute des Verfassung­sschutzes, teils mit Verbindung­en zum NSU, waren im KKK aktiv.

Vorgetäusc­hte Dämlichkei­t

Wie Selvakumar­an glaubt auch Aust, dass der Verfassung­sschutz mehr über die rechte Szene wusste, als er heute zugibt. Die Abgeordnet­en sollten sich die Treffberic­hte zwischen den Dutzenden V-Leuten im Umfeld und ihren Verfassung­sschutz-Führern vorlegen lassen, rät er. An das oft beklagte amtliche Vollversag­en in Sachen NSU glaubt Aust nicht. Diese These sei vorgeschob­en, um V-Leute zu schützen. Es gebe eine „Verschwöru­ng vorgetäusc­hter Dämlichkei­t in den Behörden“, sagt er.

Anders als die Journalist­en kann der Ausschuss Zeugen laden und Akten ordern. Das will man auch. Von einem „Tag der Fragen“spricht CDU-Obmann Matthias Pröfrock nach der Sitzung. Man habe „viele Arbeitsauf­träge erhalten“, sagt Niko Reith (FDP). „Wir müssen diesen Dingen vollständi­g nachgehen“, erklärt Jürgen Filius (Grüne). Das braucht Zeit. Den Plan, bis zur Landtagswa­hl 2016 fertig zu werden, hält der Ausschussv­orsitzende Wolfgang Drexler (SPD) für „sehr ambitionie­rt“.

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FOTO: DPA Stefan Aust gab den Parlamenta­riern Tipps, was sie im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss hinterfrag­en könnten.

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