Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
FC Bayern spielt in der Ukraine
Wegen der Krise im Donbass spielt Bayern in Lwiw gegen Schachtjor Donezk
(sz) - Spieler und Verantwortliche des FC Bayern München haben die Reise zum Achtelfinalhinspiel in der Champions League gegen Schachtjor Donezk am Dienstag mit einem mulmigen Gefühl angetreten. „Es ist schwer zu begreifen und ein eigenartiges Empfinden, gegen eine Mannschaft zu spielen, die in einem Kriegsgebiet beheimatet ist“, sagte Stürmer Thomas Müller. Wegen der Krise im Osten der Ukraine findet das Spiel im über 1000 Kilometer entfernten Lwiw statt.
(fil/dpa) - Spät hin, ganz schnell wieder weg. Gerade mal 35 Stunden soll der Ausflug des FC Bayern München zum Champions-League-Achtelfinalspiel gegen Schachtjor Donezk dauern. Erst am Montagnachmittag, das Abschlusstraining fand noch in München statt, machte sich der Tross auf zum Flughafen, unmittelbar nach dem Spiel am Dienstag geht es wieder zurück. Gegen zwei Uhr am Mittwochmorgen, für gewöhnlich sitzen bei Champions-League-Reisen da noch Sponsoren und Klubbosse beim Mitternachtsbankett beim Gläschen Wein, soll der Flieger wieder in München landen. Trotz des Nachtflugverbots am Münchner Flughafen, das normalerweise strikter eingehalten wird als der Brauch, Weißwürste nur vor dem Mittagsläuten zu essen. Doch für Flüge aus Krisen- und Kriegsgebieten müssen selbst die peniblen Hüter der Münchner Nachtruhe eine Ausnahme machen.
Nun lässt sich trefflich drüber streiten, ob die Münchner wirklich aus einem Krisengebiet zurückreisen werden. Findet das Spiel doch in Lwiw statt, der wunderschönen und westeuropäischsten Stadt der Ukraine. Der Bürgerkrieg im Osten des Landes ist weit weg, weiter sogar als München. Rund 1100 Kilometer sind es von Lwiw nach Donezk, weniger als 1000 nach München. Räumlich. Doch emotional kann auch in Lwiw, fest in der Hand der Regierungstruppen, niemand dem Krieg im Osten des Landes entkommen. Die Bayern nicht, die mit einem mulmigen Gefühl in die Ukraine reisen. Trainer Pep Guardiola sprach von einer „komischen Situation“und zeigte sich „besorgt über die Situation der Leute, die in der Ukraine leben“. Thomas Müller bezeichnete es als „surreal“, am Dienstag (20.45 Uhr/Sky) in Lwiw zu spielen. „Man fährt da nicht hin und schaltet alles aus“, sagte auch Arjen Robben. „Das ist schon im Kopf. Wir sind zwar Fußballspieler, aber zuallererst Menschen.“
Noch mehr gilt dies natürlich für Spieler und Verantwortliche von Schachtjor. 2014 sind sie aus Donezk geflohen, schon bevor die Krise im Donbass zum Krieg wurde. Die Brasilianer im Kader des erfolgreichsten osteuropäischsten Klubs der letzten Jahre hatten sich geweigert, weiter in Donezk zu spielen. Und weil immer- hin 13 Spieler der „Kumpel“– Donezk liegt mitten im Kohlerevier, Schachtjor gilt als das Schalke der Ukraine – aus Brasilien kommen und sich auch Klubboss und Oligarch Rinat Achmetow nicht mehr sicher fühlte in Donezk, zog der Klub um. Achmetow, noch immer der reichste Mann der Ukraine, galt als moderater Sympathisant der Separatisten, doch als die Krise zu eskalieren drohte, entdeckte er seinen Patriotismus. Seitdem unterstützt er die Regierung in Kiew und über seine Stiftung zudem die Kriegsopfer. Der von Achmetov mitfinanzierte Flughafen in Donezk liegt in Trümmern, auch die von ihm gebaute Luxusarena wurde beschädigt. In ihr finden seit Monaten obdachlos gewordene Bürger Zuflucht, außerdem werden die Bürger der notleidenden Stadt dort mit Nahrungsmitteln versorgt.
Auch die Bayern, die gerade mit ihrer PR-Reise nach Saudi-Arabien einen mittelgroßen PR-Gau erlitten haben, wollen helfen. Mit einer Geldspende soll ein Krankenhaus im Krisengebiet unterstützt werden, au- ßerdem will man die medizinische Versorgung für 30 Kinder sicherstellen. „Wir haben mit dem Außenministerium Kontakt gehabt und werden dort humanitäre Hilfe leisten“, sagte Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge.
Letztes Spiel im Dezember
Sportlich sollten die Bayern im Achtelfinale schon schwerer zu spielende Gegner erwartet haben. „Die sind sehr gefährlich“, sagte Robben zwar, „wir müssen unsere Leistung bringen, sonst wird es nichts.“Doch die Donezker absolvierten ihr letztes Pflichtspiel am 10. Dezember. Den Winter über tourte das seit 13 Jahren schon vom Rumänen Mircea Lucescu trainierte internationale Ensemble um Superstar Luiz Adriano durch Spanien und Brasilien. Erst nächste Woche beginnt in der Ukraine wieder der Ligabetrieb. „Unser Hauptziel ist der Sieg“, verkündete Adriano dennoch. Er und seine Mitspieler seien in einer „exzellenten körperlichen Verfassung“. Vor allem vor ihm haben die Bayern Respekt. Mit neun Treffern, davon allein fünf in einem Spiel gegen Bate Borisov, führt der Brasilianer derzeit die Torjägerliste der Champions League an.
Bereits seit 2007 spielt der Nationalspieler für Donezk, der kroatische Kapitän Darijo Srna sogar schon seit 2003. Achmetov zahlt gut, aber das war nicht der einzige Grund für ihre ungewöhnliche Vereinstreue. Der Klub - und die Ukrainer - liegen ihnen am Herzen. Srna ließ vor Weihnachten 20 Tonnen Mandarinen aus Kroatien einfliegen für die Bevölkerung. „Das ist ein Geschenk von ganzem Herzen“, sagte der Kapitän damals. Und doch weiß auch Srna, dass das Spiel gegen Bayern eines der letzten großen Spiele Schachtjors für längere Zeit sein könnte. Die meisten Stars wollen den Klub spätestens im Sommer verlassen. Sicherheit geht vor.