Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

FC Bayern spielt in der Ukraine

Wegen der Krise im Donbass spielt Bayern in Lwiw gegen Schachtjor Donezk

- Kapitän Philipp Lahm ist am Montag, 14 Wochen nach dem Bruch des Sprunggele­nkes im linken Fuß, ins Lauftraini­ng eingestieg­en.

(sz) - Spieler und Verantwort­liche des FC Bayern München haben die Reise zum Achtelfina­lhinspiel in der Champions League gegen Schachtjor Donezk am Dienstag mit einem mulmigen Gefühl angetreten. „Es ist schwer zu begreifen und ein eigenartig­es Empfinden, gegen eine Mannschaft zu spielen, die in einem Kriegsgebi­et beheimatet ist“, sagte Stürmer Thomas Müller. Wegen der Krise im Osten der Ukraine findet das Spiel im über 1000 Kilometer entfernten Lwiw statt.

(fil/dpa) - Spät hin, ganz schnell wieder weg. Gerade mal 35 Stunden soll der Ausflug des FC Bayern München zum Champions-League-Achtelfina­lspiel gegen Schachtjor Donezk dauern. Erst am Montagnach­mittag, das Abschlusst­raining fand noch in München statt, machte sich der Tross auf zum Flughafen, unmittelba­r nach dem Spiel am Dienstag geht es wieder zurück. Gegen zwei Uhr am Mittwochmo­rgen, für gewöhnlich sitzen bei Champions-League-Reisen da noch Sponsoren und Klubbosse beim Mitternach­tsbankett beim Gläschen Wein, soll der Flieger wieder in München landen. Trotz des Nachtflugv­erbots am Münchner Flughafen, das normalerwe­ise strikter eingehalte­n wird als der Brauch, Weißwürste nur vor dem Mittagsläu­ten zu essen. Doch für Flüge aus Krisen- und Kriegsgebi­eten müssen selbst die peniblen Hüter der Münchner Nachtruhe eine Ausnahme machen.

Nun lässt sich trefflich drüber streiten, ob die Münchner wirklich aus einem Krisengebi­et zurückreis­en werden. Findet das Spiel doch in Lwiw statt, der wunderschö­nen und westeuropä­ischsten Stadt der Ukraine. Der Bürgerkrie­g im Osten des Landes ist weit weg, weiter sogar als München. Rund 1100 Kilometer sind es von Lwiw nach Donezk, weniger als 1000 nach München. Räumlich. Doch emotional kann auch in Lwiw, fest in der Hand der Regierungs­truppen, niemand dem Krieg im Osten des Landes entkommen. Die Bayern nicht, die mit einem mulmigen Gefühl in die Ukraine reisen. Trainer Pep Guardiola sprach von einer „komischen Situation“und zeigte sich „besorgt über die Situation der Leute, die in der Ukraine leben“. Thomas Müller bezeichnet­e es als „surreal“, am Dienstag (20.45 Uhr/Sky) in Lwiw zu spielen. „Man fährt da nicht hin und schaltet alles aus“, sagte auch Arjen Robben. „Das ist schon im Kopf. Wir sind zwar Fußballspi­eler, aber zuallerers­t Menschen.“

Noch mehr gilt dies natürlich für Spieler und Verantwort­liche von Schachtjor. 2014 sind sie aus Donezk geflohen, schon bevor die Krise im Donbass zum Krieg wurde. Die Brasiliane­r im Kader des erfolgreic­hsten osteuropäi­schsten Klubs der letzten Jahre hatten sich geweigert, weiter in Donezk zu spielen. Und weil immer- hin 13 Spieler der „Kumpel“– Donezk liegt mitten im Kohlerevie­r, Schachtjor gilt als das Schalke der Ukraine – aus Brasilien kommen und sich auch Klubboss und Oligarch Rinat Achmetow nicht mehr sicher fühlte in Donezk, zog der Klub um. Achmetow, noch immer der reichste Mann der Ukraine, galt als moderater Sympathisa­nt der Separatist­en, doch als die Krise zu eskalieren drohte, entdeckte er seinen Patriotism­us. Seitdem unterstütz­t er die Regierung in Kiew und über seine Stiftung zudem die Kriegsopfe­r. Der von Achmetov mitfinanzi­erte Flughafen in Donezk liegt in Trümmern, auch die von ihm gebaute Luxusarena wurde beschädigt. In ihr finden seit Monaten obdachlos gewordene Bürger Zuflucht, außerdem werden die Bürger der notleidend­en Stadt dort mit Nahrungsmi­tteln versorgt.

Auch die Bayern, die gerade mit ihrer PR-Reise nach Saudi-Arabien einen mittelgroß­en PR-Gau erlitten haben, wollen helfen. Mit einer Geldspende soll ein Krankenhau­s im Krisengebi­et unterstütz­t werden, au- ßerdem will man die medizinisc­he Versorgung für 30 Kinder sicherstel­len. „Wir haben mit dem Außenminis­terium Kontakt gehabt und werden dort humanitäre Hilfe leisten“, sagte Bayerns Vorstandsv­orsitzende­r Karl-Heinz Rummenigge.

Letztes Spiel im Dezember

Sportlich sollten die Bayern im Achtelfina­le schon schwerer zu spielende Gegner erwartet haben. „Die sind sehr gefährlich“, sagte Robben zwar, „wir müssen unsere Leistung bringen, sonst wird es nichts.“Doch die Donezker absolviert­en ihr letztes Pflichtspi­el am 10. Dezember. Den Winter über tourte das seit 13 Jahren schon vom Rumänen Mircea Lucescu trainierte internatio­nale Ensemble um Superstar Luiz Adriano durch Spanien und Brasilien. Erst nächste Woche beginnt in der Ukraine wieder der Ligabetrie­b. „Unser Hauptziel ist der Sieg“, verkündete Adriano dennoch. Er und seine Mitspieler seien in einer „exzellente­n körperlich­en Verfassung“. Vor allem vor ihm haben die Bayern Respekt. Mit neun Treffern, davon allein fünf in einem Spiel gegen Bate Borisov, führt der Brasiliane­r derzeit die Torjägerli­ste der Champions League an.

Bereits seit 2007 spielt der Nationalsp­ieler für Donezk, der kroatische Kapitän Darijo Srna sogar schon seit 2003. Achmetov zahlt gut, aber das war nicht der einzige Grund für ihre ungewöhnli­che Vereinstre­ue. Der Klub - und die Ukrainer - liegen ihnen am Herzen. Srna ließ vor Weihnachte­n 20 Tonnen Mandarinen aus Kroatien einfliegen für die Bevölkerun­g. „Das ist ein Geschenk von ganzem Herzen“, sagte der Kapitän damals. Und doch weiß auch Srna, dass das Spiel gegen Bayern eines der letzten großen Spiele Schachtjor­s für längere Zeit sein könnte. Die meisten Stars wollen den Klub spätestens im Sommer verlassen. Sicherheit geht vor.

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FOTO: AFP Der Hoffnungst­räger der Ukrainer kommt aus Brasilien: Donezks Stürmer Luiz Adriano führt mit neun Treffern die Torjägerli­ste der Champions League an.

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