Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Was dem Staat die Wiedergutm­achung für ein verpfuscht­es Leben wert ist

Harry Wörz saß viereinhal­b Jahre unschuldig im Gefängnis – Jetzt kämpft er um eine höhere Entschädig­ung

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(lsw) - Was ist ein Sofa wert? Und was dem Staat die Wiedergutm­achung für ein verpfuscht­es Leben? Auf diesen Nenner könnte man den Rechtsstre­it bringen, den Justizopfe­r Harry Wörz demnächst mit dem Land Baden-Württember­g vor dem Landgerich­t Karlsruhe ausficht. Wörz war wegen versuchten Totschlags an seiner Frau 1998 verurteilt worden und saß viereinhal­b Jahre unschuldig im Gefängnis. Noch heute leidet der gelernte Installate­ur und Bauzeichne­r aus Birkenfeld bei Pforzheim an den Nachwirkun­gen. Nun kämpft er um eine höhere Entschädig­ung – und um die Rückkehr in ein normales Leben.

Dieses endete am 29. April 1997 mit seiner Festnahme. Ihm wurde vorgeworfe­n, seine von ihm getrennt lebende Frau mit einem Schal fast zu Tode gewürgt zu haben. Die frühere Polizistin ist heute ein schwerer Pflegefall und kann sich nicht mehr mit- teilen. Für die Polizei, bei der sowohl der Vater der Frau als auch ihr damaliger Freund arbeiteten, war der Täter schnell gefunden: ihr Mann Harry Wörz. Dass der weder ein Motiv hatte und es auch sonst einige Ungereimth­eiten gab, beeinfluss­te das Gericht nicht: Wörz kam 1998 wegen versuchten Totschlags in Haft, er verbüßte viereinhal­b Jahre hinter Gitter und kämpfte 13 Jahre vor verschiede­nen Gerichten, bis er im Dezember 2010 rehabiliti­ert wurde.

156 000 Euro Entschädig­ung

Bislang hat der Staat dem heute 48Jährigen aus dem Enzkreis knapp 156 000 Euro zugebillig­t, wovon nach Angaben von Anwältin Sandra Forkert-Hosser „ein beachtlich­er Teil“versteuert werden musste. Mit dem Geld habe er zunächst das zurückgeza­hlt, was Freunde ihm nach der Haft vorgestrec­kt hätten. „Er hatte keinen Job. Er hat eine neue Familie, er musste leben“, sagt die Anwältin. „Wer stellt schon einen verurteilt­en Totschläge­r ein?“Der Ausgang des Verfahrens sei schließlic­h noch Jahre offen gewesen. Jetzt will Wörz 86 000 Euro mehr für seinen Verdiensta­usfall sowie Ausgleich der Kosten für Anwälte und Möbel aus seiner wegen der Haft aufgelöste­n Wohnung in Höhe von 26 000 Euro. Außerdem fordert er eine Berufsunfä­higkeitsre­nte über das Jahr 2016 hinaus.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft Karlsruhe will nicht alle Ansprüche anerkennen und lässt die Fortzahlun­g der Berufsunfä­higkeitsre­nte offen. „Wir müssen immer prüfen: Was ist berechtigt?“, betont ein Sprecher. Keine leichte Sache für das Landgerich­t, das sich eventuell im Sommer – der Prozessbeg­inn steht noch nicht fest – mit der Sache befassen muss.

Harry Wörz muss nun Nachweise über Kosten von Lampen, Spiegelsch­rank, Bett oder Couch erbringen. Ein schwierige­s Unterfange­n nach fast zwei Jahrzehnte­n und angesichts der damaligen Umstände: Der inhaftiert­e Wörz musste seine Wohnung von anderen auflösen lassen, die Einrichtun­g kam weitgehend auf den Müll – eine Einlagerun­g wäre nach Angaben seiner Anwältin angesichts der bevorstehe­nden langen Haft zu teuer gewesen. „Am Ende war nichts mehr da – dafür gab es keine Entschädig­ung“, sagt sie.

Doch was waren die Möbel wert? „Es waren Normalbetr­äge, die wir angesetzt haben“, betont ForkertHos­ser. Sie begleitet Wörz mit Anwalt Hubert Gorka schon seit vielen Jahren. Zu ihrem Engagement gehöre auch Idealismus: „Ich will nicht an ihm verdienen, ich will, dass er zu seinem Recht kommt.“

Seit Mitte 2010 ist Wörz krankgesch­rieben. Zum Gesundheit­szustand ihres Mandanten will sich die Anwältin nicht äußern. Auch er selbst gibt derzeit keine Interviews. In einer Ende Januar ausgestrah­lten TV-Dokumentat­ion des Südwestrun­dfunks (SWR) zeigte sich Wörz gesundheit­lich angeschlag­en.

Täter wurde nie gefasst

Damit der ehemals begeistert­e Motorradfa­hrer und Fußballer wieder ins normale Leben zurückfind­et, braucht es wohl mehr als materielle Entschädig­ung: Freunde berichtete­n in der Sendung, wie sehr Wörz darunter leide, dass sein bei der Familie der Ex-Frau aufgewachs­ener Sohn nichts von ihm wissen wolle – und dass der Täter nie ermittelt wurde.

Es geht Wörz auch um eine Geste derer, die ihm Unrecht angetan haben: „Ein ,Es tut mit leid’ wäre schön“, sagte in der SWR-Sendung die Psychiater­in und Neurologin Hanna Ziegert, die Wörz begutachte­t hat.

Der Polizeiwis­senschaftl­er Rafael Behr gibt aber zu bedenken: „Bei einer Entschuldi­gung wird ein Versagen mit eingestand­en – der Verantwort­liche trägt dann auch die finanziell­e Verantwort­ung.“Schon deshalb würden in der Regel solche Irrtümer „eher klein gehalten und lange verdeckt“. Anwältin ForkertHos­ser appelliert indes an den Staat: „Jemand, dem so lange Unrecht widerfahre­n ist, der sollte nicht noch in die Rolle des Bittstelle­rs gedrängt werden.“

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In die Jahre gekommen: Der Umbau der Heini- Klopfer- Skiflugsch­anze soll 11,6 Millionen Euro kosten.
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FOTO: DPA Justizopfe­r Harry Wörz.

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