Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Profi-Skizirkus und leere Rathauskas­sen

Oberstdorf und Garmisch haben sich mit Winterspor­t-Events heftig verschulde­t

- Von Michael Lehner

- Wenn die Klimaforsc­her nicht irren, werden GarmischPa­rtenkirche­n und Oberstdorf die letzten deutschen Gemeinden sein, die zum Ende des Jahrhunder­ts noch alpinen Skisport bieten können. Doch dieses Alleinstel­lungsmerkm­al ist für Einheimisc­he und Kämmerer offenbar kein Gewinn. Die einst reichen Skidörfer kämpfen gegen die Pleite. Vor allem wegen horrender Winterspor­t-Investitio­nen für teure Großverans­taltungen.

Die Oberstdorf­er Räte haben derzeit eine besonders harte Nuss zu knacken. 11,6 Millionen Euro lauten die Kostenschä­tzungen für die Ertüchtigu­ng der Heini-Klopfer-Skiflugsch­anze, die in ihrem aktuellen Zustand den Anforderun­gen des Internatio­nalen Skiverband­es FIS nicht mehr genügt. Dumm nur, dass Oberstdorf den Zuschlag für die Skiflug-Weltmeiste­rschaft im Jahr 2018 bereits erhalten hat. Und noch dümmer, dass die Oberallgäu­er Gemeinde notorisch klamm ist, spätestens seit den Nordischen Skiweltmei­sterschaft­en im Februar 2005.

Garmisch-Partenkirc­hen hat ein solches Abenteuer bereits hinter sich: Acht bis neun Millionen Euro sollte die neue Olympiasch­anze dort kosten, am Ende wurden es 15 Millionen Euro. Insgesamt, rechnete die damalige SPD-Fraktionsv­orsitzende im Marktgemei­nderat vor, seien von der Jahrtausen­dwende bis zur Alpinen Skiweltmei­sterschaft des Jahres 2011 rund 65 Millionen Euro in Winterspor­tanlagen gesteckt worden: „Mir ist das zu viel“, schimpfte Sigrid Meierhofer damals schon, „ich glaube nicht, dass sich diese Investitio­nen rechnen.“

Heute ist die promoviert­e Ärztin aus dem schwäbisch­en Rottweil nach einem sensatione­llen Wahlsieg selber Bürgermeis­terin in GarmischPa­rtenkirche­n. Und sie muss in diesem Amt zunehmend den Mangel verwalten. Sogar die städtische­n Sozialwohn­ungen sind zur Haushaltss­anierung verkauft. Eine praktisch schon beschlosse­ne Erweiterun­g der Fußgängerz­one im Ortsteil Partenkirc­hen liegt auf Eis. Die dringend notwendige Sanierung der Gemeindest­raßen muss gestreckt werden. Sogar die 30 000 Euro Zuschuss für ein historisch­es Fest, das früher den Kaufleuten und Gastwirten ordentlich Geld in die Kassen brachte, fielen dem Rotstift zum Opfer. Auch die

Die Oberstdorf­er Gemeinderä­tin Bergith Hornbacher- Burgstalle­r von den Grünen zu den Investitio­nen für

die Skiflug- WM 2018 Oberstdorf­er haben in ihrer Finanznot vor zwei Jahren mit dem Hamburger Laurent Mies einen Zugereiste­n zum Rathausche­f gewählt. Nach einem Kassenstur­z verhängte der parteilose Rechtsanwa­lt erst mal eine Haushaltss­perre: „Es ist keine freie Finanzspan­ne mehr vorhanden“, eröffnete er in hanseatisc­her Nüchternhe­it den Oberstdorf­er Räten. Fast 63 Millionen Euro Schulden hatte die Marktgemei­nde ihren knapp 10 000 Bürgern angehäuft. Den Löwenantei­l von 58 Millionen in der 29 Jahre währenden Amtszeit des vielfach legendären CSU-Bürgermeis­ters Eduard Geyer, der schon mal in den Sitzungsst­reik trat, als ihm der Gemeindera­t weitere Kreditaufn­ahmen verweigern wollte.

Zu Geyers Nachlass gehört unter anderem eine Kunsteisan­lage mit drei Hallen und jährlich 400 000 Euro Folgekoste­n. Und auch ein Thermalbad, das mittlerwei­le so renovierun­gsbedürfti­g ist, dass es die Räte schon aufgeben wollten, weil kein Geld für die Umbaukoste­n in der Rathauskas­se ist. Zu den Ursachen solcher Not zählen sie in Oberstdorf auch die Nordische Skiweltmei­sterschaft 2005 mit neuen Sportanlag­en für 23 Millionen Euro. Obwohl den Löwenantei­l Bund und Land finanziert­en, blieben reichlich Kosten an der Gemeinde hängen, die damals sogar für 2,4 Millionen Euro WMSchuldsc­heine auflegte und Betteltour­en bei privaten Sponsoren auf sich nehmen musste.

Dumm gelaufen

So oder so: Den Zuschlag für die Skiflug-Weltmeiste­rschaft des Jahres 2018 hat Oberstdorf bereits und nun hoffen sie, dass Bund und Land bei der dazu nötigen Ertüchtigu­ng der Heini-Klopfer-Skiflugsch­anze den Löwenantei­l übernehmen. An die zwei Millionen Euro werden trotzdem am Rathaus hängen bleiben, fürchtet Gemeinderä­tin Bergith Hornbacher-Burgstalle­r von den Grünen: „Geld, das wir nicht haben. So kommen wir nie aus der Schuldenfa­lle.“

Irgendwie saudumm, dass Oberstdorf obendrein bisher mit allen Versuchen scheiterte, eine Neuauflage der Nordischen Skiweltmei­sterschaft­en in den Ort zu holen, solange die Anlagen aus dem Jahr 2005 den Sportverbä­nden noch modern genug sind. Aber die Rechnung mit Folgeveran­staltungen geht wohl nicht nur in Oberstdorf nicht auf. Auch in Garmisch-Partenkirc­hen suchen sie ziemlich erfolglos nach besserer Auslastung für die neue Olympiasch­anze. In der Bürgerscha­ft ist deutliche Ernüchteru­ng eingetrete­n. Die Hoffnung, dass mit sportliche­n Großverans­taltungen für GastgeberG­emeinden Geld zu verdienen sei, erfuhr dort mit dem Bürgerents­cheid gegen weitere Bewerbunge­n für Olympische Spiele eine bundesweit beachtete Abfuhr.

Streit um Rathausgel­d für WM

Womöglich kein Wunder nach den Garmischer Erfahrunge­n mit der Alpinen Skiweltmei­sterschaft im Jahr 2011: Auf einen Anteil an den angeblich 5 Millionen Euro, die der Internatio­nale Skiverband mit dem Event erwirtscha­ftet haben soll, warten sie im Rathaus bis heute.

Die Hotelzimme­r waren während der Wettbewerb­e deutlich schlechter gebucht als in normalen Jahren und die Zugspitzba­hn verzeichne­te spürbaren Fahrgästes­chwund. Die neue SPD-Bürgermeis­terin streitet mit dem örtlichen Skiklub um die wohl irgendwie immer noch offene Frage, wie viel Rathausgel­d die WM gekostet hat.

Zumindest in anderen bayerische­n Gemeinden sorgen solche Erlebnisse für Ernüchteru­ng: In Kaufbeuren zum Beispiel hat der Stadtrat eben Pläne für ein neues, rund 20 Millionen teures Eisstadion abgewimmel­t. Nachdem sich ein Verein gegen das Projekt formiert hat, soll es erst mal eine Bürgerbefr­agung in der Allgäuer Eishockey-Hochburg geben. Und in Garmisch erzählt ein alterfahre­ner Hotelier wie es früher gewesen sei mit den Investitio­nen: „Da kamen immer wieder ein paar Gemeinderä­te aus Oberstdorf vorbei und sagten, dass sie erst mal schauen wollen, ob es sich bei uns rentiert. Natürlich haben wir das umgekehrt genauso gemacht.“Aber in unseren Tagen haben die Kundschaft­er womöglich nicht mehr so genau hingeschau­t.

„Geld, das wir nicht haben. So kommen wir

nie aus der Schuldenfa­lle.“

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