Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Großer Bahnhof für den Feind des Westens

- Von Rudolf Gruber, Wien

Während Russlands Präsident die EU mit seiner Aggression­spolitik gegen die Ukraine in Atem hält, wird ihm heute der ungarische Premier Viktor Orban in Budapest einen großen Empfang bereiten. Putins Budapest-Trip ist nur zwei Wochen nach dem Ungarn-Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel freilich eine starke Demonstrat­ion gegen die RusslandPo­litik der EU. Auch wenn Orban zu beschwicht­igen versucht, dass Ungarn gute Beziehunge­n „auch zur anderen Großmacht“– gemeint ist Deutschlan­d – brauche, ist ihm Putin als Gast lieber als Merkel. Allein schon, weil er von ihm keine Lektionen in Demokratie zu erwarten hat.

Wohl aber erwartet Putin von seinem ungarische­n Gastgeber, dass er die Rolle des Spaltpilze­s innerhalb der EU konsequent­er durchzieht als bisher. Orbans Doppelglei­sigkeit, innerhalb der EU-Gremien für die Sanktionsp­olitik zu stimmen, sie aber in der Öffentlich­keit ständig als sinn- und nutzlos zu verteufeln, dürfte Putin auf Dauer auch nicht zufriedens­tellen. Denn er sieht in Ungarn eine Art Wortführer der Anti-Sanktionsf­raktion, zu der er Italien, Griechenla­nd, Zypern und in gewissem Maß auch Österreich zählt.

Dabei kommt dem Kremlchef gelegen, dass Ungarn eines jener EULänder ist, die energiepol­itisch am stärksten von Russland abhängig und entspreche­nd erpressbar sind. Orban selbst sagt, russisches Öl und Gas deckten 80 Prozent des Energiebed­arfs seines Landes. Die klamme Haushaltsl­age zwingt ihn, Putin einmal mehr um einen günstigen Gas- preis zu bitten. Die Erneuerung des im Frühjahr auslaufend­en Liefervert­rags mit dem staatliche­n Energiemul­ti Gazprom steht gerade an. Zudem hat Orban im Vorjahr einen Kreditvert­rag von 10 Milliarden Dollar zwecks Modernisie­rung des ungarische­n Atomkraftw­erks Paks unterzeich­net, der Ungarn für die nächsten 30 Jahre an Russland bindet.

Ungarn – ein russisches Modell

Politisch ist Ungarn nach fast fünf Jahren unter Orbans Regentscha­ft dem russischen Modell näher als der westlichen Demokratie. Das Budapester Parlament ist praktisch der dominieren­den Fidesz-Regierungs­fraktion gleichgesc­haltet. Die Basis dafür wurde mit der Wahlrechts­reform 2011 gelegt, die das Parlament fast halbiert hat und die Siegerpart­ei stark bevorteilt. So beruht Orbans Zweidritte­lmehrheit laut Wahlergebn­is 2014 lediglich auf einem Viertel der Stimmen der Wahlberech­tigten. Ähnlich wie Putin hält auch Orban Opposition für überflüssi­g.

Doch ist Ungarn nicht das reine Orban-Reich, sondern ein tief gespaltene­s Land. Das zeigt die Wahlenthal­tung von zuletzt fast 50 Prozent und die seit Herbst zunehmende Proteststi­mmung gegen Orbans Allmachtan­sprüche: Sein autoritäre­s Gehabe; die Besetzung nahezu sämtlicher Schlüssels­tellen in den staatliche­n Institutio­nen, einschließ­lich der Justiz, mit engen Vertrauens­leuten; die Knebelung der Medien; die Denunzieru­ng politische­r Gegner als Staatsfein­de.

Kaum zu glauben, dass derselbe Mann vor rund drei Jahrzehnte­n eine antikommun­istische Bewegung angeführt hat.

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