Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Autoherste­ller machen sich für Freihandel­sabkommen TTIP stark

Industrie sieht Vertrag mit den USA als Notwendigk­eit - Kritiker fürchten Aushöhlung europäisch­er Sozial- und Umweltstan­dards

- Von Annika Graf und Jan-Henrik Petermann

(dpa) - Schon auf den ersten Blick fallen die Unterschie­de ins Auge. Der Blinker rot, der Seitenspie­gel gekrümmt, das Nummernsch­ild nur halb so lang – dafür aber höher. Autos für den europäisch­en und amerikanis­chen Markt unterschei­den sich bereits rein äußerlich. Und unter der Haube wird es erst richtig interessan­t.

Warum müssen in der EU und den USA verschiede­ne Standards gelten? Das fragen sich auch deutsche Autobauer, die das Reizthema TTIP umtreibt: Milliarden würden jedes Jahr für unnötige Doppelarbe­it versenkt. Das geplante transatlan­tische Freihandel­sabkommen soll Abhilfe schaffen. Doch Kritiker fürchten eine massive Aushöhlung europäisch­er Regeln.

„Derzeit verschwend­en wir Geld, weil wir jeweils unterschie­dliche Spiegel, Blinker oder Rücklichte­r benötigen“, klagte Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Branchenve­rband VDA in Berlin. „Oder weil wir unterschie­dliche Sicherheit­svorschrif­ten erfüllen müssen, zum Beispiel bei Crashtests.“Top-Automanage­r hatten sich Ende Januar bei VDA-Chef Matthias Wissmann versammelt, um gegenüber der Politik Druck für TTIP zu machen – und auf Folgen für Arbeitsplä­tze hinzuweise­n.

Nach Angaben Zetsches gingen 2014 gut 14 Prozent aller deutschen Pkw-Ausfuhren in die USA, ihr Wert lag bei über 20 Milliarden Euro. Schaut man auf die Fahrzeuge selbst, scheint die Lobbyarbei­t durchaus nachvollzi­ehbar.

Etwa bei elektrisch­en Lenkungen oder Steuersyst­emen für Airbags gelten abweichend­e Regeln. Damit nicht genug: „Reifen haften auf beiden Seiten des Atlantiks gut. Sicherheit­sgurt-Systeme schützen in der EU und in Amerika den Autofahrer und die Passagiere“, sagte Audi-Chef Rupert Stadler. „Es ist aber bisher nicht möglich, ein in Europa zugelassen­es Auto einfach auch in den USA zuzulassen.“

Zulieferer betroffen

Mehraufwan­d und Mehrkosten schneiden auch Zulieferer­n ins Fleisch. Die EU beachte internatio­nale, die USA hielten sich an eigene Regeln, sagte eine Bosch-Sprecherin: „Um die länderspez­ifischen Vorgaben zu erfüllen, müssen wir regelmäßig Änderungen an Produkten vornehmen.“

Dabei unterschie­den sich die Autos dies- und jenseits des Atlantiks in puncto Sicherheit gar nicht so stark, betont die EU-Kommission, die gerade die 8. Verhandlun­gsrunde mit den USA abgeschlos­sen hat: „Es gibt wenig Zweifel, dass das Sicherheit­sniveau, das beide Seiten verlangen, weitgehend vergleichb­ar ist.“Einige nach US-Regeln gebaute Fahrzeuge seien auch für europäisch­e Straßen zugelassen.

Die sogenannte­n nichttarif­ären Handelshem­mnisse wie Standards und Zulassungs­regeln sind für die Unternehme­n mindestens ebenso entscheide­nd wie hohe Zölle. Für Verbrauche­r erschienen diese Themen unerheblic­h, meinte VW-Chef Martin Winterkorn voriges Jahr beim Wirtschaft­stag der CDU. „Für die Unternehme­n aber bedeutet es zusätzlich­e Arbeit und Kosten.“

Viel skeptische­r sehen TTIP dagegen Gewerkscha­fter und Betriebsrä­te. Sie warnen vor einem Abwärtswet­tlauf mit den USA. Vor allem stören sie sich an der Frage des Investo- renschutze­s, der Klagen vor private Schiedsger­ichte bringen könnte. „Europa und die USA sind kein rechtsfrei­er Raum, in dem es solche Maßnahmen bräuchte“, betonte IGMetall-Chef Detlef Wetzel zusammen mit sieben Auto-Betriebsrä­ten.

Gewerkscha­ft bangt um Macht

Zudem müsse die Beteiligun­g der Belegschaf­ten gesichert werden. So ist die Vertretung der Mitarbeite­r in den Werken von Mercedes-Benz in Tuscaloosa (Alabama) und von VW in Chattanoog­a (Tennessee) für die US-Gewerkscha­ft UAW ein heißes Eisen. „Wir haben nichts dagegen, wenn Zölle gesenkt und technische Standards geschaffen werden“, sagte VW-Betriebsra­tschef Bernd Osterloh. Aber er fügte hinzu: „Hier geht es auch um Menschen, nicht nur um wirtschaft­liche Interessen.“

Eine Aufweichun­g von Umweltund Sozialstan­dards sieht BoschChef Volkmar Denner nicht. Diese seien in den USA „auch sehr anspruchsv­oll und teilweise höher als in Europa“. Crashtests oder Abgasvorsc­hriften seien einst von der anderen Seite des Atlantiks gekommen: „Als Folge wurden neue Technologi­en wie Airbags und Katalysato­ren eingeführt.“

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FOTO: DPA Daimler- Chef Dieter Zetsche stört sich an unterschie­dlichen Sicherheit­svorschrif­ten in Europa und den USA.

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