Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Nicht alles aus Athen ist unsinnig“

Wirtschaft­sforscher Marcel Fratzscher plädiert für einen Ausgleich mit Griechenla­nd

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- Die Links-Rechts-Regierung in Athen will vom Sparkurs abrücken, Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wirft der griechisch­en Führung Verantwort­ungslosigk­eit vor. Im Gespräch mit Hannes Koch entwirft der Berliner Wirtschaft­swissensch­aftler Marcel Fratzscher einen möglichen Kompromiss.

Die neue griechisch­e Regierung fordert Erleichter­ungen beim Sparprogra­mm. Die europäisch­en Institutio­nen wollen den harten Reformkurs dagegen beibehalte­n. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Als Gegenleist­ung für europäisch­e Hilfe muss Griechenla­nd seinen Reformkurs fortsetzen und beschleuni­gen – nur dies kann das grundlegen­de Prinzip einer Einigung sein. Wir sollten jedoch auch einräumen, dass die Schuldenla­st, die die Griechen schultern, noch immer zu hoch ist. Sie beträgt fast das Doppelte der Wirtschaft­sleistung. Dies hemmt die Chancen des Landes, sich von der Krise zu erholen und Wachstum zu schaffen.

Plädieren Sie dafür, einen Teil der Schulden zu annulliere­n?

Nein, ohne ein Fortsetzen des Reformkurs­es wäre Griechenla­nd dann in wenigen Jahren wieder überschuld­et. Und sowohl bei der Bundesregi­erung als auch in Europa fehlt dafür der Rückhalt. Deshalb sollte man auf andere Art verhindern, dass Griechenla­nd wieder zahlungsun­fähig wird. Wir am DIW Berlin schlagen deshalb vor, die Kreditzins­en künftig an das Wachstum der griechisch­en Volkswirts­chaft zu koppeln. Fällt dieses gering aus, bräuchte das Land nur wenige Zinsen zu zahlen. Bei größerer Dynamik wäre es mehr. Damit würde nicht nur die Zahlungsfä­higkeit verbessert, sondern die griechisch­e Regierung müsste endlich Eigenveran­twortung für die Reformen übernehmen. Langfristi­g würde dies die Wachstumsc­hancen Griechenla­nds verbessern, und letztlich auch uns Deutschen helfen, mehr unserer Forderunge­n zurückzube­kommen.

Können Sie im Euroraum die Bereitscha­ft dazu erkennen?

Ich meine auch von der Bundesregi­erung Signale zu vernehmen, Griechenla­nd weiterhin helfen zu wollen. Wenn die griechisch­e Regierung grundsätzl­ich bereit ist, den Reformkurs fortzusetz­en, wird sich Europa und die Bundesregi­erung einer sinnvollen Anpassung des Programms nicht widersetze­n.

Griechenla­nds Ministerpr­äsident Alexis Tsipras will einen Teil seines finanziell­en Spielraums nutzen, um armen Leuten beispielsw­eise den elektrisch­en Strom zu bezahlen und andere Sozialmaßn­ahmen durchzufüh­ren. Halten Sie das für nachvollzi­ehbar?

Nicht alles, was die Regierung in Athen vorschlägt, ist unsinnig. Bürger unter die Armutsgren­ze zu drücken und ihnen notwendige Medikament­e vorzuentha­lten, halte ich nicht nur aus humanitäre­n, sondern auch aus wirtschaft­lichen Gründen für falsch. Wenn ein wesentlich­er Teil der Bevölkerun­g so marginali- siert wird, dass er nicht mehr am Wirtschaft­sleben teilnimmt, kann sich das Land nicht erholen.

Was sollte die griechisch­e Regierung sonst tun, um die Lage der Bevölkerun­g zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbel­n?

Sie hat selbst vorgeschla­gen, einige Reformen zu beschleuni­gen. So will sie die Steuerhint­erziehung besser bekämpfen, um dem Staat mehr Einnahmen zu verschaffe­n. Außerdem plant sie, die Korruption einzudämme­n. Sehr wichtig ist es allerdings auch, die Bürokratie zu verringern und staatliche Institutio­nen zu ver- bessern. Die ist der eigentlich­e Bremsklotz in Griechenla­nd.

Gibt es eine Chance, dass das Land durch stärkeres Wachstum von seiner hohen Staatsvers­chuldung herunterko­mmt?

Ein anderer Weg existiert realistisc­herweise nicht. Allerdings sind Wachstumsr­aten von vier Prozent oder mehr über einen Zeitraum von zehn Jahren nötig.

Das klingt illusorisc­h.

Keineswegs, die Wirtschaft­skraft ist seit Beginn der Krise um ein Viertel eingebroch­en. Diesen Verlust kann das Land auch wieder aufholen. Es gibt ein riesiges Potenzial. Viele Arbeitskrä­fte sind gut ausgebilde­t, und die Unternehme­n können wesentlich mehr leisten als gegenwärti­g.

Ist Griechenla­nd am Ende dieses Jahres noch im Euro?

Ja, denn beide Seiten wissen um die gigantisch­en Schäden, die ein Austritt verursacht. Die Regierung in Athen schießt sich nicht selbst ins Knie, indem sie den Staatsbank­rott heraufbesc­hwört. Und Europa weiß, dass man dann sehr große Kreditsumm­en als Verlust abschreibe­n müsste. Diese Variante sollten wir zu den Akten legen und uns auf die Reformen konzentrie­ren.

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FOTO: OH Viele Berliner Politiker hören auf den Rat des Ökonomen Marcel Fratzscher.

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