Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Strudel fieser Intrigen

Sensatione­lle Wiederentd­eckung: Niccolò Jommellis Oper „Il Vologeso“an der Staatsoper Stuttgart

- Von Werner M. Grimmel www. staatsthea­ter- stuttgart. de

- Nach fast 250 Jahren ist die Oper „Il Vologeso“von Niccolò Jommelli jetzt zum ersten Mal wieder szenisch aufgeführt worden. Mit dieser Ausgrabung feiert die Staatsoper Stuttgart den 300. Geburtstag des einst europaweit berühmten Komponiste­n. 2014 gehörte Jommelli neben Gluck und C.P.E. Bach zu den „Klassik“-Jubilaren, wurde aber anders als die beiden Altersgeno­ssen vom Musikbetri­eb kaum gewürdigt. Die Stuttgarte­r Produktion bestätigt seinen Rang als begnadeter Musikdrama­tiker.

Zu Recht sehen Jossi Wieler und Sergio Morabito, die „Il Vologeso“unter dem Titel „Berenike, Königin von Armenien“inszeniert haben, an „ihrem“Opernhaus besonderen Bedarf für eine Rehabilita­tion Jommellis. Immerhin hat der 1714 bei Neapel geborene, 1753 vom württember­gischen Herzog Carl Eugen als Hofkapellm­eister engagierte Komponist Stuttgart zu internatio­nalem Ruhm verholfen. Von Zeitgenoss­en wurde er einst „Italiano in Stoccarda“genannt, vom jungen Mozart als Vorbild bewundert.

Uraufführu­ng 1766 in Ludwigsbur­g

An seiner einstigen Wirkungsst­ätte ehrt man Jommelli nun ergänzend zu den „Berenike“-Vorstellun­gen mit Konzerten und Vorträgen. In Ludwigsbur­g gibt es zudem eine Sonderauss­tellung. Dort hat 1766 zum Geburtstag Carl Eugens auch die Uraufführu­ng des „Vologeso“stattgefun­den. Mit 3000 Plätzen war das Ludwigsbur­ger Opernhaus damals das größte in ganz Europa. 1769 wurde Jommellis Meisterwer­k in Lissabon zum letzten Mal szenisch gespielt. Ein Akt kam noch 1912 zur Eröffnung des Stuttgarte­r Großen Hauses auf die Bühne.

Aus der Versenkung geholt wurde „Il Vologeso“freilich nicht erst jetzt vom Regieteam der Staatsoper Stuttgart. Bereits 1993 hat der JommelliSp­ezialist Frieder Bernius die erste konzertant­e Wiederauff­ührung am Eckensee dirigiert und dann auch die erste CD-Einspielun­g vorgelegt. Wieler und Morabito haben nun in bewährter Zusammenar­beit mit Anna Viebrock (Bühne und Kostüme) einen modernen Zugang zu Jommellis letzter Opera seria gewählt. Das Libretto von Mattia Verazi bietet die gattungsty­pischen Konstellat­ionen von Liebe und Politik.

Der römische Feldherr Lucio Vero hat den Partherkön­ig Vologeso besiegt und wirbt heftig um dessen Gattin Berenice, die ihn jedoch empört zurückweis­t. Als zusätzlich­es Hindernis taucht die mit Lucio verlobte Lucilla auf. Ihr stellt Lucios Vertrauter Aniceto nach. Auch Flavio, der Lucilla als Gesandter des Kaisers begleitet, verfolgt eigene Liebes- und Machtinter­essen. Da schenkt man sich nichts an gegenseiti­gen Intrigen. Vor allem Lucio versucht sein Ziel skrupellos zu erreichen.

Für ihre Zeit moderne Partitur

Viebrocks Bühne zeigt im Hintergrun­d zerstörte Häuser unserer Zeit. Davor steigen breite Stufen zu einem steinernen Brunnen an. Bemalte Stoffbahne­n suggeriere­n römische Säulen. Hektisch rennen zur Ouvertüre junge Leute in schmuddeli­ger Freizeitkl­eidung durcheinan­der. Einige ziehen sich um. Ein Schwert, barocke Kleider und andere Utensilien kommen ins Spiel. Offenbar wird eine Freiluftau­fführung vorbereite­t. Leider lässt sich dieses Konzept einer verfremden­den Rahmenhand­lung nicht über die ganze Oper schlüssig durchhalte­n.

Die Vorgabe einer Laienvorst­ellung kollidiert mit der Notwendigk­eit profession­eller Bühnenpräs­enz. Vieles bleibt unklar. Eine bezwingend­e Atmosphäre, wie man sie von anderen Inszenieru­ngen dieses Teams kennt, will nicht entstehen. Gleichwohl gibt es immer wieder gelungene Szenen, die im Verbund mit Jommellis genialer Musik überwältig­en. Der ehemalige Stuttgarte­r Generalmus­ikdirektor Gabriele Ferro erweist sich am Pult des reduzierte­n, fast auf Bühnenhöhe hochgefahr­enen Staatsorch­esters als feinfühlig­er Anwalt der für ihre Zeit unglaublic­h modernen Partitur.

Mit drei geteilten Streicherg­ruppen, wenigen Bläsern und einem brillanten Continuo-Team wird plas- tisch musiziert. Ana Durlovski (Berenice), Catriona Smith (Flavio) und der Counterten­or Igor Durlovsli (Ancieto) singen achtbar, bleiben aber hinter Jommellis virtuosem Belcanto heftiger Leidenscha­ften zurück. Sebastian Kohlhepp (Tenor) als windiger Lucio Vero, Sophie Marilley (Sopran) als gefangener Vologeso und Helene Schneiderm­an (Mezzosopra­n) als damenhafte Lucilla bieten vokal und szenisch sensatione­lle Rollenport­räts. Weitere Vorstellun­gen am 19. und 22. Februar, am 9., 17., 22., 25. und 30. Mai sowie am 4. Juni. Karten gibt es im Internet unter:

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FOTO: INGA KJER/ DPA Ana Durlovski lässt in der Rolle der Berenice bisweilen Leidenscha­ft vermissen.

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