Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Hypochonder wittern stets das Schlimmste
Ausgeprägte Angst vor einer möglichen Erkrankung beeinträchtigt Lebensglück
(dpa) - Ein bisschen Hypochonder steckt wohl in jedem. Wer kann schon behaupten, noch nie über eine Krankheit gelesen und plötzlich die beschriebenen Symptome an sich selbst festgestellt zu haben? Im Normalfall vergeht die Sorge aber schnell wieder. Wer aber tatsächlich an einer hypochondrischen Störung leidet, tut sich schwer, seine Befürchtungen loszuwerden.
„Die Betroffenen haben ausgeprägte Ängste, tatsächlich an einer ernsthaften Krankheit zu leiden“, sagt Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Ein wesentlicher Faktor der Störung ist eine übertriebene Selbstbeobachtung des eigenen Körpers: „Sie nehmen die Körperfunktionen sehr intensiv wahr“, stellt Hauth fest. Das ist nicht zwangsläufig etwas Schlimmes: „Eine Beobachtung des eigenen Körpers ist sicherlich sinnvoll“, ergänzt Harald Gündel vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie. Nur vermuten Hypochonder eben gleich das Böse im eigenen Körper. „Der Prototyp des Hypochonders hat eine klare Hypothese“, erklärt Gaby Bleichhardt, Autorin eines Buches über die Behandlung von Hypochondrie und Krankheitsangst. Die meisten Hypochondrie-Patienten hätten Angst vor Krebs“,
Zum Kern der hypochondrischen Störung gehört aber nicht nur, seinen Körper sehr intensiv zu beobachten und die Beobachtungen negativ zu bewerten, sondern auch, sich nicht beruhigen zu lassen: Typisch ist, dass der Patient sich nach dem Arztbesuch erst einmal besser fühlt. Aber bald schon kommen die Zweifel zu- rück, ob denn der Arzt auch tatsächlich gründlich genug untersucht oder vielleicht nicht doch etwas übersehen hat, beschreibt Bleichhardt das Verhalten Betroffener.
Die Gedanken kreisen weiter. Die starke Fixierung auf die angenommene Krankheit beeinträchtigt das Lebensglück, erklärt Hauth. Das hat Auswirkungen auf das Privatleben, auf den Beruf, durchzieht den Alltag - und das über einen längeren Zeitraum hinweg. Doch nicht nur beim Arzt wird versucht, das Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. „Fast jeder Hypochonder liest - und er liest viel“, so Gündel. Auch das Internet diene zur Symptom-Suche.
Warum manche Menschen diese Störung entwickeln, lässt sich nicht eindeutig beantworten. „Eine ängst- liche Charakterstruktur ist sicherlich ein Risikofaktor“, sagt Gündel. Vielleicht sind diese Patienten auch bei ängstlichen Eltern aufgewachsen, fügt Bleichhardt hinzu. Häufig handelt es sich um Menschen, die in ihrem Leben bereits Erfahrung mit Krankheit und Tod gemacht haben.
Zur Behandlung hat sich die kognitive Verhaltenstherapie als wirksam erwiesen, erläutert Hauth. Mittels Übungen am eigenen Körper sollen die Patienten merken, wie stark sie sich darauf fokussieren, erläutert Bleichhardt. Um sich mit der Angst auseinanderzusetzen, geht man mit den Betroffenen ihre schlimmsten Vorstellungen durch.
Beim psycho-dynamischen Ansatz wird gezielt nach Auslöserereignissen gesucht, sagt Gündel. So ein Ereignis kann gegeben sein, wenn jemand, der in einem festen Sozialgefüge lebte, in eine fremde Stadt oder ein fremdes Land umziehen muss.
Mit einer Therapie haben Betroffene gute Chancen, ihre hypochondrische Störung wieder in den Griff zu bekommen. Die Mehrheit reduziert dadurch die Krankheitsangst, sagt Bleichhardt. Aber: „Die Überbesorgnis kann man nicht wegtherapieren“, sagt Hauth. Die Mehrheit ist dank Therapie im Alltag aber nicht mehr so stark beeinträchtigt.
Bleichhardt/ Weck: Springer Verlag. 244 Seiten. 39,99 Euro.