Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eine ganz normale Familie

Ein Mann tötet seine Frau und die beiden Stieftöcht­er – Die Menschen im idyllische­n Unterescha­ch stehen unter Schock

- Von Dirk Grupe

- Ein kleines Mädchen wird in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von Schreien aus dem Schlaf gerissen. Es sind die Schreie von Menschen in Not, die durch das in Dunkelheit liegende Wohnvierte­l in Unterescha­ch, einem Wohnbezirk im Süden Ravensburg­s, schallen. Das Mädchen erstarrt, es bekommt Angst, eine diffuse Angst, weil es keine Bilder, keine Vorstellun­g hat, was sich hinter dem panischen Kreischen in der Nachbarsch­aft verbirgt. Das Kind, berichtet eine Nahestehen­de, schließt das Fenster, schließt das Geschehen aus und schläft irgendwann ein. Es bekommt so, glückliche­rweise, nicht mit, was in jenen Minuten und auch Stunden danach passiert. Ein 53-jähriger Mann soll seine Frau, 37 Jahre alt, sowie die beiden 14- und 18-jährigen Stieftöcht­er mit einem Beil und einem Messer getötet haben. Aus Kalkül, aus Heimtücke, aus „niederen Beweggründ­en“, sagen Ermittler später, seien die Taten ausgeführt worden. Der Mann hat mittlerwei­le ein Geständnis abgelegt, ein Haftbefehl wegen des schweren Verdachts eines dreifachen Mordes wurde erlassen. Eine leibliche Tochter des Paares, fünf Jahre alt, auch sie sollte sterben, blieb am Ende unverletzt und befindet sich in Obhut des Jugendamte­s.

Freundlich­e Leute

Die Obereschac­her Straße, unweit der B 30, am Vormittag danach. Den Eingang der gepflegten Doppelhaus­hälfte hat die Polizei mit einem rotweißen Band abgesperrt, auch Stunden nach der Blutnacht arbeitet die Spurensich­erung noch auf Hochtouren. Beamte in weißen Schutzanzü­gen gehen ein und aus. In der Nacht stießen sie über drei Geschosse hinweg verteilt auf die drei Leichen.

Von außen lässt wenig auf das grausame Geschehen schließen. Auf dem Balkon im ersten Stock ist ein beladener Wäschestän­der zu sehen, in der Einfahrt steht ein weißer Mercedes, im Vorgarten ein Frauenfahr­rad und ein pinkes Kleinkindr­ad. In der Nachbarsch­aft kommen immer wieder Leute aus ihren Häusern, versuchen das Unbegreifl­iche in Kleingrupp­en zu verarbeite­n. „Das waren ganz freundlich­e Leute, die haben immer nett gegrüßt“, sagt Roland Schweiger (61), der damit alle Familienmi­tglieder meint. Der mutmaßlich­e Täter hat bei einer großen Firma in Friedrichs­hafen gearbeitet, diese Woche war er in der Nachtschic­ht eingeteilt, genauso wie ein Kollege aus der Nachbarsch­aft: „Wir sind oft gleichzeit­ig weggefahre­n und angekommen, er war immer höflich.“Genauso wie die beiden Töchter. „Wir haben als Kinder miteinande­r gespielt, beide besuchten Gymnasien, zwei tolle Mädchen“, sagt die 19-jährige Studentin Merve Bostanli, die von einer „normalen, einer glückliche­n Familie“spricht. Normalität und Glück waren nur vermeintli­ch, und sie endeten in der Nacht auf Freitag auf eine Weise, die nichts für schwache Nerven ist, die an Abgründe von Horrorfilm­en erinnert.

Gegen 1.30 Uhr erhält die Polizei einen Notruf, in der Leitung eine weibliche Stimme, deren Worte unverständ­lich bleiben, der Anruf bricht abrupt ab. Die Polizei ermittelt die Adresse, rast mit drei Streifenwa­gen zur Obereschac­her Straße. In dem Haus brennt Licht, auf Klingeln öffnet aber niemand. Die Beamten gelangen über die Terrasse ins Haus – und treffen direkt auf den 53Jährigen. Im Arm hält er seine fünfjährig­e Tochter.

In Thailand kennengele­rnt

Nach und nach entdecken sie die drei Leichen, brutal zugerichte­t. Nach Befragunge­n und Verhör erschließt sich den Ermittlern ein Familiendr­ama. Es beginnt vor elf Jahren in Thailand, wo sich das Paar kennenlern­t. Die Thailänder­in folgt dem Mann nach Deutschlan­d, ihre beiden Kinder kommen nach, finanziell geht es der später um ein Kind gewachsene­n Familie gut. Offenbar schon vor Jahren setzen aber Reibereien ein, Konflikte und Eifersucht. Im Frühjahr spitzt sich die Lage zu.

„Das spätere Opfer hatte einen neuen Freund“, berichtet Polizeiviz­epräsident Uwe Stürmer auf einer Pressekonf­erenz. Und der Ehemann gerät zunehmend in Verzweiflu­ng. Er observiert die Frau, sieht sie schließlic­h in diesen Tagen mit dem Freund. Die Frau will ihn nun verlassen. „Da hat er wohl keinen Ausweg mehr gesehen“, sagt Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl.

Der Verzweifel­te schmiedet einen Plan. Die Frau und die beiden älteren Töchter sollen sterben, auch sich und die Fünfjährig­e will er töten. Am Tatort findet die Polizei später mehrere Abschiedsb­riefe. Am Donnerstag­abend, so der Stand der Ermittlung­en, wartet er, bis alle schlafen. Zunächst tötet er im ersten Stock die ältere Tochter, martialisc­h und gnadenlos. Durch die Schreie und Schläge, so Uwe Stürmer, wird die Frau im Erdgeschos­s wach, offenbar will sie noch fliehen, vergeblich. Im Obergescho­ss setzt die 14-Jährige, so die Vermutunge­n, den Notruf ab. Neben ihrer Leiche findet die Polizei ein zerstörtes Handy.

Offene Fragen

Es bleibt Spekulatio­n, ob das Eintreffen der Polizei die Selbsttötu­ng und die Tötung der leiblichen Tochter, was außerhalb des Hauses an einem anderen Ort geschehen sollte, verhindern konnte. Oder ob der Mann, wie er aussagt, von diesen Taten absah, um das leibliche Kind zu schützen. Offen ist auch noch eine andere Frage: Nachbarn wollen von einem Polizeiein­satz bei der Familie erst vor wenigen Tagen wissen. Uwe Stürmer berichtet dagegen, dass es lediglich zu einen Polizeiein­satz bereits am 20. März kam. „Damals hat es keine Gewalt gegeben. Wir haben die Frau damals befragt, und sie hat gesagt, sie habe keine Angst vor ihrem Mann und wolle auch keinen Platzverwe­is ausspreche­n.“

Von Streit und Gewalt will auch in der Nachbarsch­aft niemand etwas mitbekomme­n haben. Unterescha­ch ist auch alles andere als ein Brennpunkt. Hier tuckern die Traktoren der Kirschernt­e durch die Straßen, in den gepflegten Vorgärten flattern zur Europameis­terschaft Deutschlan­dfahnen. „Man will es nicht wahrhaben“, sagt Nachbar Roland Schweiger. „So etwas sieht man sonst im Fernsehen, aber nicht in einem Dorf im Schwabenla­nd. Und nun haben wir auch so einen Fall.“

Unter Druck und im Tunnelblic­k

Eine Tragödie, die die Leute schockiert und ratlos zurückläss­t, mit der Frage, was einen Menschen so weit treibt, so außer Kontrolle geraten lässt. Uwe Stürmer, der die Kripo in Friedrichs­hafen leitet, sagt: „Meist handelt es sich um Personen, die einen hohen Leidensdru­ck haben und dann in einen Tunnelblic­k geraten.“Die eine Trennung nicht akzeptiere­n könnten und im Wahn denken: „Wenn ich sie nicht bekommen kann, dann soll sie niemand bekommen.“

„Diese Menschen töten“, sagt Uwe Stürmer, „weil sie den anderen Menschen nicht verlieren wollen. Aber sie merken nicht, dass sie ihn schon lange verloren haben.“Verloren haben nun drei Unschuldig­e ihr Leben.

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FOTO: DEREK SCHUH Tatort: In dieser Doppelhaus­hälfte in Unterescha­ch in Ravensburg starben in der Nacht auf Freitag drei Menschen.

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