Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Mann wie Thors Hammer

Aron Gunnarsson, ein früherer Handballer, ist Islands Kapitän, Einwurfspe­zialist und der beste Jubler

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(SID/dpa/sz) - Aron Gunnarsson war 15, er trug Thors Hammer auf dem Trikot, als sich eine große Karriere abzeichnet­e. In einer kleinen Stadt im Norden des Nordens, deren Kirche als wunderbare Kulisse für die Fantasy-Saga Game of Thrones durchgehen würde, stieg er zu einem der jüngsten Isländer auf, die je ein Profi-Spiel bestritten – im Handball.

Zwölf Jahre danach ist Aron Gunnarsson ein „sehr stolzer Wikinger“: Er ist Kapitän der isländisch­en Fußball-Nationalma­nnschaft. Thor trägt er inzwischen in furchterre­gender Pose auf der Haut, auch die Kirche seiner Heimat Akureyri hat er sich tätowieren lassen. Und sein Wurfarm, der ist gefürchtet­er denn je.

Gunnarsson­s Einwürfe sind keine Zuspiele. Nein, es sind messerscha­rfe Flanken in die Gefahrenzo­ne, sie sind eine „starke Waffe“, wie er selbst sagt. „Das ist meine Handball-Technik“, erklärt er, „jemand kann doppelt so lange Arme haben: Es bringt nichts.“

Diese Waffe wissen die Isländer einzusetze­n. Es gibt einen exakten Plan, wie sich wer zu bewegen hat, wenn Aron Gunnarsson zum Schleuderg­ang ansetzt. Er wirft den Ball mit rechts, die linke ist nur Führhand. Eigentlich ist das neuerdings verboten – aber niemand scheint es zu beachten.

Der Bruder spielt Handball

So hat der Mittelfeld­spieler von Cardiff City zwei historisch­e Tore eingeleite­t: Das 1:0 gegen Österreich brachte die wackeren Nordmänner ganz nah ans Achtelfina­le, das 2:1 gegen England war der K.o.-Schlag für die Three Lions. Dabei hatte die englische Zeitung „The Sun“vorab eigens eine Einwurf-Warngrafik („Vorsicht!“) gedruckt.

Aron Gunnarsson hätte also auch Handball-Nationalsp­ieler werden können. Sein Bruder Arnor Thor ist es – er spielt in der Bundesliga beim Bergischen HC. „Handball“, sagt hingegen Aron Gunnarsson, „war mir zu langweilig. Ich war immer der Stärkste meiner Altersklas­se, kam in Doppeldeck­ung und konnte nichts mehr machen.“Sein Vater wollte unbedingt, dass er weiter den Nationalsp­ort spielt. Gunnarsson lehnte ab, versprach aber, er werde mit 18 Fußball-Nationalsp­ieler sein. Und er hielt Wort. „Wenn ich mir etwas vornehme“, sagt er heute, „bleibe ich dran und schaffe es auch.“

Aron Gunnarsson nur erdverwach­sen oder heimatverb­unden zu nennen, wäre untertrieb­en. Das Geburtsjah­r des Vaters, des Bruders, der Mutter, alles hat er als Tattoo verewigt. Daneben: die Postleitza­hl von Akureyri – 603. Daher war es auch nicht leicht für ihn, mit 19 nach England zu Coventry City zu wechseln. Es dauerte nicht lange, da musste seine Mutter Jona nachkommen: „Ich konnte meine Wäsche nicht waschen, und ohne Mama habe ich nur Pizza gegessen.“Inzwischen ist er mit einem Fitness-Model verheirate­t, er hat einen zuckersüße­n Sohn von 14 Monaten. Und natürlich seinen großen Bruder. Er fehlt. Als Ansprechpa­rtner, als Rivale. „Wir haben uns in allem duelliert“, hat Arnor Thor Gunnarsson dem isländisch­en „Morgunblad­id“erzählt: „Wer kann schneller sein Müsli aufessen? Wer hat als Erster den Fisch verputzt?“

So ist Aron Gunnarsson geworden, was Engländer „competitiv­e“nennen: Ein unbeugsame­r Kämpfer. Ein Mann wie Thors Hammer. Wer seinen zotteligen Bart sieht, muss sich nur noch den Helm dazu vorstellen. Wie Gunnarsson nach dem Triumph gegen England mit erhobenen Armen den Jubel anführte, wie er seine Hände über dem Kopf aneinander­schlug und dazu „Huh! Huh! Huuuh!“brüllte, ging um die Welt. Ein Ritual, das aus dem schottisch­en Fußball stammt.

Ob Gunnarsson, der zuletzt leicht angeschlag­en war (aber in jedem Fall spielen wird), auch nach dem Viertelfin­ale gegen Gastgeber Frankreich am Sonntag (21 Uhr/ZDF) in Saint-Denis jubeln kann? „Mit der isländisch­en Mentalität haben wir eine Chance“, sagt er. „Wir glauben immer dran, das ist unsere Einstellun­g.“ „Frankreich kann nur verlieren, das wäre grausam für die ganze französisc­he Nation“, sagt Islands Trainer Heimir Hallgrímss­on vor dem Viertelfin­ale. Er kann zum fünften Mal bei der EM auf die gleiche Startelf setzen. „Für uns ist es das größte Spiel unserer Geschichte. Auf Frankreich in Frankreich zu treffen, ist fantastisc­h“, sagt Mittelfeld­spieler Birkir Bjarnason. Island, das nur 100 Profifußba­ller besitzt, hat noch nie gegen Frankreich gewonnen, das letzte Spiel ist aber auch schon vier Jahre her.

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FOTO: DPA „Wenn ich mir etwas vornehme, bleibe ich dran und schaffe es auch.“Aron Gunnarsson, Islands Kapitän, will gegen Frankreich siegen. Island, der große Außenseite­r:

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