Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Zum Abschied ein Zerwürfnis mit Casillas
Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque tritt nach langem Zögern ab und offenbart Streitereien im Team
(SID/dpa) - Coach Vicente del Bosque verkündete höchstpersönlich das Ende seiner Ära – und offenbarte gleichzeitig tiefe Gräben in der erfolgsverwöhnten Mannschaft Spaniens bei der EM 2016. „Ich habe allen Spielern Nachrichten geschrieben, bis auf einem – Casillas“, enthüllte der Coach in einem Radio-Interview und berichtete erstmals vom offenbar tiefen Zerwürfnis mit Torwart-Ikone Iker Casillas.
„Er war verärgert über uns“
Nach 167 Länderspielen für die Iberer war der 35-Jährige, der mittlerweile beim FC Porto spielt, bei der Endrunde von del Bosque zur Nummer 2 hinter dem zehn jahre jüngeren David de Gea von Manchester United degradiert worden. „Bei seinen Mitspielern hat er sich korrekt verhalten, aber mit dem Trainerstab war es so lala“, verkündete der scheidende Trainer. „Er hat sich von mir ungerecht behandelt gefühlt, aber auch vom Konditionstrainer Javier Minano und Assistent Toni Grande. Er war verärgert über uns.“
Erstaunlich offene Worte des langjährigen Coaches von „La Roja“, der seit seinem Amtsantritt 2008 selten Interna verbreitet hatte. Vor zwei Tagen hatte Casillas wiederum die spanische Öffentlichkeit mit einer seltsamen Videobotschaft in den sozialen Netzwerken verwirrt. Er hatte eine Sequenz aus dem Film Rambo II mit Sylvester Stallone gepostet, in der John Rambo sagt: „Dass dich dein Land genauso lieben sollte wie du es liebst.“Fühlte sich Casillas nicht entsprechend wertgeschätzt? In Spanien war das jedenfalls als Hinweis auf einen Rücktritt von Casillas aus dem Nationalteam gedeutet worden. Perfekt ist dieser aber noch nicht.
Bei del Bosque vergingen drei Tage, ehe er sich zum Rücktritt entschließen konnte. Offenbar tut sich der 65-Jährige schwer mit dem Loslassen. „Ich verlasse die Trainerbank, obwohl ich immer in der Nähe sein werde und hoffe, dass die Dinge gut laufen im spanischen Fußball“, sagte er. „Wenn ich kann, helfe ich gerne.“Zuvor hatte er erstmals öffentlich erklärt, womit alle direkt nach dem Scheitern gegen Italien gerechnet hatten: „Ich werde meinen Vertrag bis zum 31. Juli erfüllen, dann aber als Trainer nicht mehr weitermachen.“Del Bosques Träume, den EM-Titel erfolgreich zu verteidigen und die Schmach des Vorrunden-Aus bei der WM 2014 in Brasilien zu tilgen, wurden nicht Wirklichkeit.
Als es darauf ankam, konnte Spanien nicht mehr zulegen und wurde beim 0:2 von den Azzurri taktisch klar beherrscht. Die goldene spanische Generation, die schon 2014 entzaubert wurde, dankt endgültig ab. Zwar beherrschten die spanischen Clubs wieder die europäischen Clubwettbewerbe, aber bei der EURO endete die Erfolgssträhne abrupt. Real Madrid (im Endspiel gegen Atlético Madrid) in der Champions League und Dauersieger FC Sevilla in der Europa League setzten Spaniens Erfolgsweg im Europacup fort, aber das Nationalteam hat viel von einstigem Glanz eingebüßt. Ein neuer Coach muss es richten.
Doch die Suche nach del Bosques Nachfolger könnte noch ein wenig andauern. Nach übereinstimmenden Medienberichten ist nun Joaquín Caparrós der Favorit. Der derzeit vereinslose 60-Jährige hat schon alle möglichen spanischen Clubs (Granada CF, UD Levante, RCD Mallorca, FC Sevilla) trainiert – nur nie Real Madrid und den FC Barcelona. Caparrós gilt als Topkandidat von Verbandspräsident Ángel María Villar Llona, der aber auch über Julen Lopetegui, der im Januar beim FC Porto entlassen wurde, nachdenken soll. Klar scheint zu sein, dass erneut ein Spanier die Nationalmannschaft übernehmen soll. Kandidaten aus dem Ausland kämen nicht infrage.