Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schlips oder Schlabberlook – Braucht das Büro Kleiderregeln?
Also rein in die Rolle der sauertöpfischen Kulturtussi: Was im Winter gnädig unter wurstartigen Parkas verborgen ist, wird uns im Sommer mit ungebrochener Lebensfreude (gegen die selbstverständlich nichts spricht) dargeboten: Wir sehen Dinge, die wir eigentlich nicht sehen möchten. Ungeschützt gibt das Muscle Shirt den Blick frei auf Schweißtröpfchen im Achselhaar und die Sandale auf ungepflegte Käsfüße. Die Vorstellung, im öffentlichen Nahverkehr unter dampfenden Halbnackten zu sitzen, jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Und im Restaurant vergeht mir der Appetit, wenn die verrutschte Bermuda Teile des verlängerten Rückens bloßlegt. Gut, jeder kann sich verunstalten, wie er will. Aber wenigstens im Büro möchte ich vor solchen Beleidigungen des Auges verschont bleiben. Das ist kein Plädoyer für Schlips und Kragen, zumal manch schlecht sitzender Billiganzug mit Speckglanz zwar einem globalen Dresscode entsprechen mag, aber auch keine Augenweide ist. Es spricht nichts dafür, bei 30 Grad zugeknöpft im fehlgeleiteten Businesslook am Schreibtisch zu sitzen. Aber muss es gleich das andere Extrem sein? T-Shirt mit Spaghettiträgern? Kurze Hose und Flipflops? Ich mag meine Kolleginnen und Kollegen. Wirklich. Aber ich muss nicht alles von ihnen kennen. Mehr Dezenz bitte! Von Barbara Miller
Ich gehe gerne in die Sauna, man kann dort hervorragend entspannen. Menschen müssen dort keine Krawatten tragen, keine Kostüme, keine Hosenanzüge, angeblich gar keine Hosen. Sie müssen nicht irgendetwas sein, etwas darstellen, funktionieren. Sie müssen nicht so tun als ob, sie können ihre Masken ablegen, Falten haben. Man weiß nicht, ob da der Bankdirektor oder der Zimmermann vor einem sitzt, man sieht nur abstehende Ohren und Kniescheiben und unterschiedlich große Bierbäuche. Man schwitzt gemeinsam, alle haben Rücken. Nackt sind alle Menschen gleich.
Kleider machen keine Leute, sondern etwas vor, und wer das einmal durchschaut hat, wer einmal von einem Versicherungsmenschen im Designeranzug reingelegt wurde, kann eine Konvention wie den Dresscode nicht ernst nehmen. Wer glaubt, er könne sich durch Nadelstreifen Respekt verschaffen, durch ein Sakko sein wahres, seriöses, diskretes Ich zeigen, der irrt. Mein Outfit besteht zumeist aus halblustigen T-Shirts, gerne auch von seriösen Bands wie den Beatles. Dazu Jeans oder Stoffhosen. Im Sommer kann es auch eine Dreiviertelhose sein, weil es im Büro recht warm ist (was die Kolleginnen anders sehen). In diesen Klamotten fühle ich mich am wohlsten, habe das Gefühl, ich zu sein, kann also die beste Leistung fürs Unternehmen bringen. Jeder nach seiner Façon. Von Jürgen Schattmann