Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der Edel-Italiener, der gar keiner sein will
lar gehören anständige Rohstoffe dazu und jemand, der daraus auch etwas Schmackhaftes zaubern kann. Aber um zum wirklich angesagten Italiener einer Stadt zu werden, braucht es auch das gewisse Etwas: Grandezza, um genau zu sein. Und wenn das Lokal und die Leute, die dort arbeiten, über solche Grandezza verfügen, dann fällt davon auch etwas auf die Besucher ab. Wodurch diese im Idealfall sogleich mediterrane Gelassenheit erfüllt. Gemessen an diesen Kriterien, kommt in Ravensburg niemand am Ristorante Kantine vorbei, das aufgrund der schicken Bar natürlich auch ein guter Treff zum Sehen und Gesehenwerden ist. Bussi hier, Bussi da – „Ach, du auch hier?“– man kennt das ja.
Die eindrucksvolle Kulisse dieser großen Gastronomie ist eine alte Halle des ehemaligen Güterbahnhofs. Für das Auge bedeutet das: roter Backstein, schwindelerregend hohe Decken, mächtige Betonsäulen und massive Dielen zu Füßen des Gastes. Nicht zu vergessen eine gerahmte Bildergalerie, die neben italienischen Stilikonen wie Sophia Loren auch Familienbilder der Betreiber Dalfino und Rosato zeigt. Tische und Stühle sind zum Teil antiquarischen Ursprungs. Im Ergebnis inszeniert sich das Ambiente als nostalgische Erinnerungswelt an eine Zeit, als Bahnarbeiter noch Beamte waren. Gerade das Spiel mit postindustriellem Charme macht die Kantine so zeitgemäß und angesagt. Aber zurück zum Essen: Die Betreiber beteuern ausdrücklich, dass es sich bei der Kantine um keinen EdelItaliener handelt. Vielmehr sei das Haus offen für alle. Die moderat kalkulierte Speisekarte spricht dafür.
Inhaltlich hat sie aber das Zeug zu Größerem: tagesfrisches Fischangebot, eine schöne Auswahl an Fleischgerichten und immer wieder mal Speisen, wie sie eben nicht auf der Karte jedes Wald- und Wiesenitalieners stehen – zum Beispiel die Cacciucco, eine toskanische Fischsuppe. Oder der lauwarme Meeresfrüchtesalat, der durch selbst eingelegtes Getier überzeugt – etwa die Tentakeln vom Oktopus und Riesengarnelen. Diese mediterrane Komposition erfreut mit etwas Säure und einem wirklich zarten Biss, das frisch- und hausgebackene Brot saugt die Vinaigrette gierig auf. Bene!
Das Vitello Tonnato serviert der Patron vom Kalbstafelspitz, der ein wenig trocken geraten ist und ein bisschen Fasern zieht. Jedoch alles im Rahmen und dergestalt, dass die vorzüglich mit charakterstarkem Olivenöl verfeinerte Thunfischsauce diesen kleinen Makel spielend auffängt. Die Saltimbocca mit Salbei und gebutterten Bandnudeln sind indes frei von jedwedem Tadel: Das Fleisch hat Biss, die Hülle aus rohem Schinken gibt viel Geschmack – auch die Sauce auf dem Teller. Die Tagliatelle hätten eine Prise Salz und eine Minute Kochzeit weniger vertragen können. Aber auch hier gilt: Der Jammer findet auf hohem Niveau statt, vor allem weil keines der wunderbaren Grundprodukte im Verdacht steht, industriell konfektioniert zu sein. Jeder Bissen ist auch ein Happen ehrlicher Handwerkskunst – was selbstredend auch für die Calzone gilt, die nicht mit Formfleisch, sondern mit echtem Schinken gefüllt ist. Dass einem solchen Team die Panna Cotta prächtig gelingt, ist da kaum noch der Erwähnung wert – wohl aber die ästhetische Anrichteweise. Am alten Gaswerk 1 88212 Ravensburg Telefon 0751/3542390 www.kantine-ravensburg.de geöffnet täglich von 12-13 Uhr und 18-23 Uhr, Samstagmittag geschlossen. Hauptgerichte von acht bis 26 Euro.