Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Nie wieder auf 180 sein
Konflikte am Arbeitsplatz gelassen zu lösen, setzt Selbstkenntnis voraus
ie anstrengendsten Tage bei der Arbeit? Das sind für viele jene mit Konflikten. Keine To-do-Liste der Welt macht einen so fertig wie Streit mit Kollegen. Erst fangen die Backen an zu zittern. Dann rutscht man auf dem Stuhl hin und her. Und schließlich fängt man an zu schimpfen: „Das kann doch nicht wahr sein!“Es ist passiert: Man ist auf 180.
So oder so ähnlich spielen sich tausendfach Szenen am Arbeitsplatz ab. Wo gearbeitet wird, gibt es immer auch Konflikte. Doch kann man lernen, sie souverän auszutragen, ohne sich dabei aufzuregen?
„Soziale Konflikte sind der größte Stressfaktor für Menschen überhaupt“, sagt Coach Günter Hudasch, der bei Konflikten im Büro berät. Vermeiden lassen sich die Differenzen am Arbeitsplatz aber kaum. Es geht dabei nicht nur um Sachfragen. Ganz unterschiedliche Typen, Arbeitsweisen, Charaktere und Werte treffen aufeinander – und das oft unter Stress und Zeitdruck. Kollidieren Interessen und Werte, ist der Konflikt da.
Menschen, die sich am Arbeitsplatz selten aufregen, kennen sich häufig sehr gut selbst, sagt Susanne Klein, ebenfalls Coach bei Konflikten am Arbeitsplatz. Jeder Mensch hat bestimmte Werte, bei deren Verletzung er an die Decke geht. Zu erkennen, was einen stört, ist der erste Schritt, um den Konflikt souverän zu lösen, erklärt Klein.
Ein Beispiel: Kollege X braucht von Kollege Y jede Woche bis Mittwoch bestimmte Unterlagen, damit er seine Arbeit machen kann. Kollege Y schickt die Unterlagen in vielen Fällen jedoch zu spät – statt am Mittwochabend am Donnerstagmittag. Kollege X regt sich darüber maßlos auf und vor allem ärgert ihn die Respektlosigkeit von Y. „Der muss doch kapieren, dass er die Unterlagen pünktlich abgeben muss“, denkt er jede Woche aufs Neue. Viele verharren in dieser Situation.
Sie reagieren reaktiv, erklärt Günter Hudasch. Die Unterlagen fehlen am Mittwochabend, und schon ist der Groll da. Das sei ein völlig unbewusstes, direktes Reagieren auf Verletzungen durch andere, sagt Hudasch. Wer gut im Konfliktelösen ist, steigt hier aus, analysiert die Situation, und gibt Kollege Y dann eine neue Deadline – mit einem Puffer für alle Fälle.
Sind Menschen besonders souverän im Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz, haben sie häufig auch ein gutes Selbstbewusstsein. Sie ziehen sich bestimmte Schuhe gar nicht erst an, sagt Mareike große Darrelmann, Business Coach aus Düsseldorf. Ein Beispiel: Kollegin X sagt zu Kollegin Y: „Das Papier im Drucker ist ja schon wieder alle.“Fühlt sich Kollegin Y wenig respektiert und anerkannt, antwortet sie vielleicht patzig: „Ich bin doch hier nicht das Mädchen für alles.“Wer in seiner Rolle sehr sicher ist, und weiß, was seine Aufgaben sind, würde antworten. „Oh ja stimmt, das Papier ist dort hinten.“
Wer sehr souverän Konflikte löst, ist häufig sehr gut darin, sich selbst und sein Verhalten zu reflektieren. Er stellt sich überhaupt erst einmal die Frage: Warum gerate ich am Arbeitsplatz in die Situation, dass ich mich aufrege?
Menschen, die sich im Büro selten aufregen, gelingt es nicht zuletzt, die Kollegen für ihre Art und Weise zu achten, sagt Coach Mareike große Darrelmann. Sie wissen, wo die roten Linien ihrer Kollegen sind und übertreten diese nicht.
Wer also im Team immer wieder mit anderen aneinandergerät, sollte einmal abends für sich versuchen herauszufinden, was deren rote Linien sind. Und er sollte auch sich selbst fragen, ob er wirklich weiß, wo seine eigenen kritischen Punkte sind. Dann fällt es ihm bei der nächsten Aufregung vielleicht leichter, den anderen zu kommunizieren, was ihn überhaupt stört. (dpa)