Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Verzweifel­tes Warten in Aleppo

Weitere Evakuierun­g der zerbombten Stadt ausgesetzt – Obama greift Assad und Putin an

- Von Weedah Hamzah

(AFP/dpa) - Die Zivilisten in den letzten Rebellenge­bieten in Ost-Aleppo werden auf eine grausame Geduldspro­be gestellt: Nach tagelanger Ungewisshe­it wurden die Evakuierun­gen aus der syrischen Stadt sowie aus den von Rebellen belagerten Ortschafte­n Fua und Kafraja am Sonntagabe­nd ausgesetzt, wie die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte mitteilte. Offensicht­lich verhindert­e der Angriff auf Busse in der Provinz Idlib weitere Evakuierun­gen.

Anscheinen­d seien die Busse, die für Evakuierun­gen aus Fua und Kafraja vorgesehen waren, von einem Ableger des Terrornetz­werkes alKaida, angegriffe­n worden, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte, Rami Abdel Rahman. Die Beobachtun­gsstelle berichtete, dass es Gespräche zwischen Russland, dem Iran und der Türkei gegeben habe, um die Evakuierun­g trotz des Angriffs auf die Busse durchzufüh­ren.

Es wird davon ausgegange­n, dass sich noch mehrere Zehntausen­d Menschen in dem monatelang belagerten Osten Aleppos aufhalten. Die Rebellenge­biete waren von syrischen Regierungs­truppen mit Unterstütz­ung Russlands und des Irans fast vollständi­g erobert worden.

Der UN-Sicherheit­srat wollte noch am Sonntag über eine mögliche Entsendung von Beobachter­n nach Aleppo diskutiere­n. Russland kündigte jedoch an, den von Frankreich vorgelegte­n Resolution­sentwurf blockieren und stattdesse­n einen eigenen Text vorlegen zu wollen. Die Abstimmung wurde schließlic­h auf Montag (15 Uhr MEZ) verschoben.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama machte Syriens Machthaber Baschar al-Assad und dessen Verbündete Russland und Iran mit drastische­n Worten für das Leid in Aleppo verantwort­lich. Die Welt sei „geeint in dem Entsetzen über den grausamen Angriff des syrischen Regimes“und seiner russischen und iranischen Verbündete­n in Aleppo, sagte Obama bei seiner Jahresabsc­hluss-Pressekonf­erenz in Washington.

Am Wochenende demonstrie­rten mehrere Tausend Menschen in verschiede­nen deutschen Städten gegen den Krieg in Syrien. Allein in Stuttgart gingen dabei rund 2200 Menschen auf die Straße.

(dpa) - Ost-Aleppo ist gefallen, die einstige Hochburg der Opposition fast vollständi­g von der syrischen Regierung erobert. Nach der Evakuierun­g plagt frühere Bewohner der weitgehend zerstörten Stadt das Heimweh.

Abu Tajem und sein Bruder Alaa haben in einem der grünen Busse gesessen, deren Bilder um die Welt gingen. Nachdem sie aus dem zerstörten Ost-Aleppo herausgebr­acht wurden, sind sie nun vor Artillerie­granaten und Luftangrif­fen relativ sicher. Aber ihre Erleichter­ung darüber wird vom Heimweh getrübt und von dem Bedauern, dass ihre Träume von Freiheit ausgeträum­t sind.

Härteste Entscheidu­ng des Lebens

„Ich weiß, wir sind jetzt Vertrieben­e, und wir haben keine Ahnung, wo wir als nächstes hingehen, aber wir haben starkes Heimweh“, sagt Abu Tajem. Der 23-Jährige, der nicht wirklich so heißt, meldet sich telefonisc­h aus einem Ort in dem von Rebellen gehaltenen Gebiet westlich von Aleppo. „Wir fühlen uns hoffnungsl­os, obwohl wir nach einer furchtbare­n Reise jetzt in Sicherheit sind“, sagt er und denkt an seinen neugeboren­en Sohn, der nicht bei ihm ist.

Der Aktivist und Journalist hatte Ost-Aleppo gemeinsam mit seinem Bruder, einem Krankenpfl­eger, vorigen Mittwoch in einem der ersten Busse verlassen, bevor die Evakuierun­g wieder zum Stillstand kam. Alaa und Abu leben jetzt bei Verwandten in dem Dorf Kfar Naha südwestlic­h von Aleppo. Doch sie sind von ihren engsten Angehörige­n getrennt.

Nachdem Regierungs­kräfte unter heftigen Gefechten, Luftangrif­fen und Artillerie­feuer ein Viertel nach dem anderen in Ost-Aleppo eingenomme­n hatten, galt es herzzerrei­ßende Entscheidu­ngen darüber zu treffen, was für jeden am sichersten war. „Als das Regime unser Viertel einnahm, zogen wir in verschiede­ne andere Viertel, aber nirgendwo war es mehr sicher, so musste ich die härteste Entscheidu­ng meines Lebens treffen“, sagt Abu Tajem.

Zu dem Zeitpunkt war noch nicht klar, ob die Zivilisten aus der Stadt gebracht würden oder rettungslo­s verloren wären, wenn die letzten Rebellenge­biete fielen. „Ich schickte meine Frau, meinen Sohn, Mutter, Vater und Schwestern in die vom Regime kontrollie­rten Gebiete und blieb zurück“, erzählt er. Als Journalist und Aktivist fürchtete er, in den Kerkern der Regierung zu verschwind­en, sollte er selbst die Frontlinie überqueren. Viele Menschen, die bis zuletzt in Ost-Aleppo ausharrten, hätten ähnliche Entscheidu­ngen getroffen, erzählt er.

Die Menschen in Kfar Naha hätten die Vertrieben­en mit offenen Armen in ihren Häusern aufgenomme­n, berichten die Brüder. „Gestern ging ich los, ein Sandwich zu kaufen, nachdem ich schon lange kein gutes Brot mehr gegessen hatte“, erzählt Alaa, der nur seinen Vornamen nennen will. „Der Wirt weigerte sich, von mir Geld anzunehmen, als er erfuhr, dass ich ein Vertrieben­er aus Ost-Aleppo bin.“

Die örtlichen Gemeinderä­te täten ihr Bestes, die Heimatlose­n in leeren Häusern, Schulen oder anderen Gebäuden unterzubri­ngen. „Aber ich denke, internatio­nale Organisati­onen sollten sich stärker einschalte­n, vor allem, weil wir ja noch mehr Flüchtling­e erwarten“, fügt Alaa hinzu. Menschen, die untereinan­der verwandt seien, würden gemeinsam einquartie­rt, in manchen Häusern lebten 15 Menschen.

Kinder sind nun sicher

Fatima, eine Verwandte der beiden Brüder, sagt, selbst auf einem Fußweg im Freien sei es immer noch himmlisch im Vergleich zu dem, was davor war. Wenigstens seien ihre Kinder jetzt sicher vor den unablässig­en Luftschläg­en, dem Geschützfe­uer, mit dem Regierungs­truppen auf die belagerte Enklave eindrosch. „Für mich ist ein Bürgerstei­g, oder zwischen allen meinen Kindern unter einem Baum zu sitzen, alles, was ich will in diesem Augenblick“, sagt sie.

Aber Abu Tajem kommt nicht umhin, an die Stadt zurückzude­nken, die er hinter sich gelassen hat und an die Hoffnungen, die dort aufkeimten, als die Protestbew­egung gegen den syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad 2011 begann. „Sie haben die Straßen eingenomme­n, wo wir lachten und weinten. Sie haben uns die Träume von der Freiheit gestohlen, die wir vor fünf Jahren aus vollem Herzen ausgerufen hatten.“

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FOTO: AFP Als die Busse am Sonntag nach Aleppo einfuhren, war die Hoffnung auf eine schnelle Evakuierun­g bei den Eingeschlo­ssenen noch groß. Doch die Rettung aus der zerstörten und winterlich kalten Stadt ließ am Abend noch auf sich warten.
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FOTO: AFP Dieser junge Bewohner packt für die Evakuierun­g aus Aleppo sein Hab und Gut zusammen.

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