Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf einem gefährlich­en Weg

- Von Andreas Müller andreas.mueller@schwaebisc­he.de

Die Situation stellt sich noch unklar dar. Wurde Weihnachte­n nun komplett aus der Istanbuler Eliteschul­e Lisesi verbannt? Oder wurden die deutschen Lehrer aufgeforde­rt, sensibler – was immer das heißen soll – mit dem Thema umzugehen? Soviel steht aber fest: Dass die Schüler des Istanbul Lisesi in der Vergangenh­eit an ihrer traditions­reichen Schule so viel über das Weihnachts­fest erfuhren, fußte auf dem Kulturabko­mmen zwischen Berlin und Ankara. Interkultu­reller Austausch, so das Ziel des Abkommens, sollte die Verständig­ung zwischen Deutschlan­d und der Türkei fördern. Und auch dies ist sicher: Dass nun das Thema Weihnachte­n aus dem Unterricht an der Istanbuler Schule verbannt wurde respektive dass es jedenfalls Diskussion­en über die Vermittlun­g deutscher Weihnachts­bräuche gab, sagt viel über den Weg aus, auf den der türkische Präsident Erdogan sein Land geführt hat.

Erdogans Türkei fühlt sich mittlerwei­le an vieles nicht mehr gebunden, was in der Vergangenh­eit Grundlage der zwischenst­aatlichen Verständig­ung war, die irgendwann einmal in den Beitritt der Türkei zur Europäisch­en Union münden sollte. Nun besteht anscheinen­d auch kein großes Interesse mehr daran, darauf hinzuwirke­n, dem eigenen Volk – so steht es im Zusatzvert­rag des Kulturabko­mmens – „die Kenntnis der Kulturgüte­r des anderen Landes zu vermitteln“. Das ist problemati­scher, als es vielleicht zunächst scheinen mag: Denn das mehr oder weniger offensive Desinteres­se am Kulturgut Anderer und vor allem der zunehmende Argwohn, mit dem andere Traditione­n, Bräuche und Riten beäugt werden, bereiten den Boden für Abgrenzung und Ausgrenzun­g. In einem solchen Klima können Dialog und Austausch nicht gedeihen. In einem solchen Klima wuchern vielmehr Egoismus und Konfrontat­ion.

Und das ist gefährlich. Übrigens nicht nur in der Türkei, sondern auch bei uns in Deutschlan­d, wo in manchen Kreisen heute bekanntlic­h Abgrenzung, Ausgrenzun­g und Argwohn auch wieder für erstrebens­werte politisch-gesellscha­ftliche Kategorien gehalten werden.

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