Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kita-Gruppen dürfen größer werden
Neue Regel soll Aufnahme von Flüchtlingskindern erleichtern, stößt aber auf Kritik
- Um genügend Kindergartenplätze für Flüchtlingskinder anbieten zu können, vereinfacht das Kultusministerium die Überbelegung von Kindergartengruppen. Bis zu 30 drei- bis sechsjährige Kinder können künftig in einer Gruppe betreut werden. Doch der Plan von Kultusministerin Susanne Eisenmann stößt auf Kritik – auch beim grünen Koalitionspartner.
Anlass für die Neuregelung sind die wachsenden Zahlen an Asylbewerbern, die aus den Erstaufnahmestellen des Landes mittlerweile in die Zuständigkeit der Kommunen übergehen. Flüchtlingskinder im entsprechenden Alter haben dann Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Für die Integration ist das sinnvoll, schließlich kommen die Kinder so in Kontakt mit dem Alltagsleben in Deutschland. Einige Kommunen haben aber Probleme, genügend Plätze anzubieten – mit der Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz haben sie gerade erst einen Kraftakt in Sachen Kinderbetreuung hinter sich. Der wurde auch dadurch gemeistert, dass bestehende Kindergartenplätze für Drei- bis Sechsjährige in Krippenplätze für Unter-Dreijährige umgewandelt wurden. Nun steigt wieder der Bedarf an Kindergartenplätzen für die Älteren.
Zwei Kinder mehr
Jetzt hat das Kultusministerium eine „Verwaltungsvereinfachung“angekündigt. Demnach sollen Kitas künftig zusätzlich zur bisherigen Höchstgruppengröße von – je nach Gruppenart – bis zu 28 Kindern zusätzlich zwei Flüchtlingskinder aufnehmen können. Bisher durfte die Höchstgrenze nur auf Antrag beim Landesjugendamt überschritten werden. Künftig entfällt das Genehmigungsverfahren. Die Kita-Leitung muss lediglich eine Erklärung abgeben, mit der sie sich verpflichtet, bei Überbelegung einer Gruppe eine zusätzliche Kraft einzusetzen. Die Regelung gilt bis August 2018. „Die kurzfristige und geringfügige Überbelegung der Gruppen geht keinesfalls zulasten der Betreuungsqualität“, betont Eisenmann.
Das bezweifeln nicht nur Gewerkschaften, Verbände und Opposition, sondern auch der Koalitionspartner. Grünen-Fraktionsvorsitzender Andreas Schwarz zeigt sich in einem Brief an Eisenmann, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, „irritiert“über die Ankündigung der Ministerin. „Wir sehen es als problematisch an, wenn zu große Gruppen von Kindern in Kindertagesstätten gemeinsam betreut werden“, heißt es in dem Schreiben. Und weiter: „Insbesondere der Vorschlag Ihres Hauses, die Gruppengröße explizit zur Integration von Kindern mit Fluchterfahrung zu erhöhen, sehen wir als sehr problematisch an.“
„Die Qualität in Betreuung und Erziehung leidet“, fürchtet auch Herbert Jansen, der beim Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart für Sozialpolitik zuständig ist. Um Flüchtlingskinder gut zu integrieren, müsse die Gruppengröße eben gerade nicht erhöht, sondern gesenkt werden. Schließlich hätten diese Kinder, die oft traumatisiert sind und anfangs kaum deutsch sprechen, einen erhöhten Betreuungsbedarf.
„Integration wird dadurch zur Farce“, sagt die baden-württembergische GEW-Chefin Doro Moritz über den Plan des Kultusministeriums. „Schon bisher gelingt die Sprachförderung in den viel zu großen Gruppen kaum. Kita-Gruppen zu vergrößern ist pädagogisch kontraproduktiv und inakzeptabel.“
Auch die SPD sieht die Maßnahme als „fatales und falsches Signal“an Erzieher, Einrichtungsträger und Eltern, sagt Daniel Born, Fraktionssprecher für frühkindliche Bildung: „Die Landesregierung macht es sich sehr einfach: Sie gibt die Verantwortung ab.“Born sieht zudem die Gefahr, „dass eine erhöhte Gruppengröße von einer Maßnahme im äußersten Notfall zu einer Daueroption gemacht wird. Dagegen wird die SPD sich wehren.“
Ein Mehr an Betreuung
GEW und auch Verdi fragen sich auch, woher das „geeignete Personal“kommen soll, zu dessen Einsatz sich die Kita-Träger verpflichten. Ausgebildete Erzieher sind rar. Die seien aber auch nicht gemeint, erläutert ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Gefragt seien Personen, die eine Affinität zur Arbeit mit Flüchtlingskindern haben. Da eine solche Kraft schon bei dem ersten zusätzlichen Flüchtlingskind eingestellt werden muss, sei die Betreuung der Kinder insgesamt sogar höher, so der Ministeriumssprecher.
„Das widerspricht dem Bildungsauftrag, den wir heute der Kita zuerkennen“, kritisiert hingegen Hanna Binder, Verdi-Vizechefin in Baden-Württemberg. Eine Zusatzkraft sei nur bedingt eine Hilfe. „Für die Erfüllung ihres Bildungsauftrags bekommt die ausgebildete Erzieherin keine Unterstützung, muss sich aber trotzdem um mehr Kinder kümmern.“