Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Da flirrt, gurrt und zischt es
Uraufführung von Nikolaus Brass’ Komposition „Der goldene Steig“wird begeistert aufgenommen
– Drei Komponisten aus drei Generationen, drei Werke und zwei Uraufführungen konnte man am Freitag in der Reihe „Musica viva“im Herkulessaal der Münchner Residenz erleben: Die 32-jährige kroatische Komponistin Milica Djordjevic, die in Berlin lebt, Nikolaus Brass, 1949 in Lindau geboren und bei München lebend, sowie der ungarische Komponist György Ligeti, 1923 in Siebenbürgen geboren, der 1956 in den Westen kam und vor zehn Jahren verstorben ist. Auf verblüffende Weise passten die Werke in ihrer so individuellen Tonsprache zusammen. Diese Besprechung bezieht sich allerdings nur auf das Stück von Brass, der ja weiterhin mit der Bodenseeregion verbunden ist und sich zum Komponieren immer wieder nach Lindau zurückzieht.
„Der goldene Steig. Eine Erzählung für Sopran und Orchester auf einen Text von Peter Kurzeck“lautet der vollständige Titel des Kompositionsauftrags, der von „Musica viva“vergeben worden war. Die so eigentümliche Sprache des 2013 verstorbenen Autors Peter Kurzeck, der Rhythmus, die oft „unvollständigen Sätze“, die „unvergleichliche Art, wie ein Satz dem andern die Hand gibt“(Brass über Kurzeck) hatten den Komponisten angesprochen. Es sind Sätze, die mit dem Erinnern spielen, die viel Raum lassen für Assoziationen – für Bilder und eben auch für Musik. Ein Nachruf auf den in Böhmen geborenen, in Frankfurt wirkenden Schriftsteller hatte Brass den Impuls für die Auseinandersetzung mit ihm und damit für die Komposition gegeben.
Stimmen der Erinnerung
In Kurzecks autobiografisch geprägtem Roman „Oktober und wer wir selbst sind“, dem Brass einen Ausschnitt entnommen hat, blitzt die Erinnerung an den Vater und dessen Erinnerung an seine eigene Wanderschaft auf, als er damals auf Arbeitssuche „ins Tschechische hinein“ging. Die Orte, Jahreszeiten, Monate verschwimmen. Als Handwerker und Kapellenmaler ist der Vater unterwegs. Gedankenströme, bald vom Vater, bald vom Sohn, ergänzen einander. Schließlich erscheint wie eine Vision in klarer Luft die hohe Tatra, ein Sehnsuchtsort, vielleicht das Land des Todes.
Nikolaus Brass greift die Energie der Worte auf, das „gleich sehe ich ihn vor mir“, mit dem der Textausschnitt beginnt. Die Sopranistin Sarah Maria Sun, Spezialistin für zeitgenössische Musik, die auch in Brass’ Oper „Sommertag“vor zwei Jahren die Partie der jungen Frau gestaltet hatte, hat die Solopartie auf bewundernswerte Weise verinnerlicht: Da flirrt, gurrt und zischt es. Lachen, Zwitschern, Sprechen gehören dazu ebenso wie Koloraturen und Intervallsprünge im höchsten Register. Mit ganzem Körpereinsatz verwirklicht Sun die schwierige, auf ihr Können zugeschriebene Stimme. Liest man den Text mit, so kann man einzelne Zeilen verstehen, manche Worte sind herausgehoben, manche zerdehnt, finden ihr Echo im groß besetzten Orchester.
Außergewöhnliche Einsätze
Farbenreiches Schlagwerk, Holzund Blechbläser in hohen und tiefen Registern und eine große Streichergruppe greifen das kleingliedrige Erzählen musikalisch auf. Immer wieder erheben sich Solisten aus dem Orchester, korrespondieren mit der Sängerin. Außergewöhnlich ist der Einsatz einer „singenden Säge“, die mit ihrem obertonreichen Klang die Singstimme umspielt, kommentiert, auch ironisch als „kleiner gemeiner Schatten“(Brass im Einführungsgespräch) bricht. Auf eigentümliche Weise spiegelt sich die Arbeit des Malers, das Streichen und Wischen, im Einsatz der Instrumente wieder. Auch das Ticken der verstreichenden Zeit – ein Hauptthema in Kurzecks Text – ist als Grundpuls hörbar. Zwei Schwirrhölzer, über dem Kopf geschwungen, stehen für den Wind, der den Wanderer auf seinem „goldenen Steig“umgibt.
Im Schlussteil wird die Musik zunehmend zerbrechlich, sphärisch, das Hinübergehen in eine andere Welt zu Klang. Der gebürtige Friedrichshafener Peter Rundel, auch er ein souveräner Spezialist für neue Musik, und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wurden für ihre engagierte Interpretation gemeinsam mit der Solistin und dem Komponisten begeistert gefeiert.