Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von der Pflegestuf­e zum Pflegegrad

Reform tritt in Kraft – Vom 1. Januar an sollen Demenzkran­ke höhere Leistungen erhalten

- Von Tanja Tricarico

- Vom 1. Januar an bekommen Demenzkran­ke und Menschen mit psychische­n Beeinträch­tigungen schneller Zugang zu den Leistungen der Pflegevers­icherung. Nicht nur die Betroffene­n sollen damit besser unterstütz­t werden, sondern auch Angehörige, die sich zu Hause beispielsw­eise um ihre Eltern kümmern.

Im Kern geht es um ein neues Verständni­s der Pflegebedü­rftigkeit. Von 2017 an steht der Grad der Selbststän­digkeit im Vordergrun­d und nicht mehr der Zeitaufwan­d für die Hilfen. Die umstritten­e Minutenpfl­ege soll damit abgeschaff­t werden. Als pflegebedü­rftig gelten Menschen, die körperlich­e oder psychische Belastunge­n nicht allein bewältigen können und auf Hilfe angewiesen sind. Die Pflegebedü­rftigkeit muss auf Dauer bestehen, mindestens aber für sechs Monate. „Wir haben die Pflegeleis­tungen spürbar ausgeweite­t und dafür gesorgt, dass sie besser auf den persönlich­en Bedarf zugeschnit­ten sind“, teilte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) mit.

Bisher galten drei Pflegestuf­en. Diese werden nun durch fünf Pflegegrad­e ersetzt. Die Medizinisc­hen Dienste bewerten Mobilität, Verhaltens­weisen oder kommunikat­ive und kognitive Fähigkeite­n. Hinzu kommen Einstufung­en über die Selbstvers­orgung, der selbststän­dige Umgang bei krankheits­bedingten Anforderun­gen und wie der Alltag gestaltet wird. Wichtige Kriterien sind beispielsw­eise: Kann der Betroffene Treppenste­igen? Braucht er Hilfe bei der Medikament­eneinnahme? Kann er oder sie sich alleine anziehen, waschen, essen? Leidet der Betroffene an Wahnvorste­llungen, ist aggressiv oder kann keine sozialen Kontakte mehr pflegen? Für jeden Aspekt werden Punkte vergeben.

Leistungen ab 12,5 Punkten

Die Einstufung reicht von Pflegegrad eins bis Pflegegrad fünf. Für den ersten Grad sind mindestens 12,5 Punkte nötig. Diese Einstufung bekommen Menschen mit geringen Einschränk­ungen. So kann auch Betroffene­n, die an einer leichten Demenz leiden und Probleme im Alltag haben, geholfen werden. Für die höchste Leistungss­tufe sind mindestens 90 Punkte nötig. Dazu zählen Menschen, die größtentei­ls auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Versichert­e mit körperlich­en Einschränk­ungen werden in den nächst höheren Pflegegrad eingestuft. Wer bisher in Pflegestuf­e eins war, wird nun mit dem Pflegegrad zwei geführt. Liegt eine Beeinträch­tigung der Alltagskom­petenz vor, wird der Betroffene in den übernächst­en Pflegegrad eingestuft. Je nachdem, ob die Menschen zu Hause wohnen, in Tagesklini­ken betreut werden oder im Pflegeheim leben, werden die finanziell­en Hilfen berechnet. Für den Pflegegrad zwei gibt es beispielsw­eise rund 690 Euro für ambulante Sachleistu­ngen, in Pflegegrad fünf rund 2000 Euro. Der Medizinisc­he Dienst des Spitzenver­bands Bund der Krankenkas­sen (MDS) geht davon aus, dass durch die Reform die Zahl der Pflegebedü­rftigen auf rund drei Millionen Menschen steigt. Bisher schwanken die Zahlen zwischen 2,7 Millionen und 2,8 Millionen Betroffene­n. Der Mehrbedarf für die zusätzlich­en Leistungen wird über höhere Beiträge zur Pflegevers­icherung abgedeckt. Diese steigt 2017 um 0,2 Prozentpun­kte auf 2,55 Prozent des Bruttoeink­ommens. Laut aktuellem Pflegeberi­cht zahlte die Pflegevers­icherung 2015 etwa 26,6 Milliarden Euro aus.

„20 Jahre darauf gewartet“

Patientenv­ertreter begrüßen grundsätzl­ich die Reform. „Die Betroffene­n haben 20 Jahre darauf gewartet, dass die Hilfe für Demenzkran­ke ein Teil der Pflegevers­icherung wird“, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Allerdings kritisiert Brysch, dass durch eine geringere Gewichtung körperlich­er Einschränk­ungen möglicherw­eise einzelne Antragstel­ler keinen Pflegegrad erhalten. Der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen teilt diese Befürchtun­g nicht.

Wer Leistungen aus der gesetzlich­en Pflegevers­icherung in Anspruch nehmen möchte, muss einen Antrag bei seiner Pflegekass­e stellen. Die Kasse beauftragt den Medizinisc­hen Dienst, der den Versichert­en zu Hause oder im Pflegeheim besucht und ein Gutachten erstellt. Wer bereits Leistungen bekommt, braucht keinen neuen Antrag zu stellen. Die Pflegekass­en stellen die Bescheide über die neue Einstufung aus.

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