Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Süße Versuchung

Der Franken-Schock hat den Schweizer Biskuit-Hersteller Kambly ins Ausland getrieben – zu Tekrum nach Ravensburg

- Von Andreas Knoch

- Es ist der 15. Januar 2015 der den Stein ins Rollen bringt: Am Hauptsitz des Schweizer Feingebäck­hersteller­s Kambly aus Trubschach­en im Emmental, 40 Kilometer östlich von Bern, sitzt die Führungsma­nnschaft in einer Sitzung als sie die Hiobsbotsc­haft aus Zürich ereilt. „Daraufhin war erst einmal nur Stille“erinnert sich Unternehme­nschef Hans-Martin Wahlen an diesen denkwürdig­en Spätvormit­tag.

Minuten vorher hatte die Schweizeri­sche Nationalba­nk (SNB) in einem für die Finanz- und Wirtschaft­swelt vollkommen überrasche­nden Schritt den Mindestkur­s, mit dem der Schweizer Franken an den Euro gekoppelt war, aufgehoben. Der Euro fällt ins Bodenlose: von 1,20 Franken, dem seit 2011 geltenden Kursziel der SNB, auf kurzzeitig nur noch 85 Rappen. Korrespond­ierend dazu wertet der Franken massiv auf. Am Ende des Tages, der in den Wirtschaft­sannalen als Franken-Schock Eingang findet, bleibt ein Plus von rund 20 Prozent übrig.

Lebenswerk in Gefahr

Für Kambly, die rund 40 Prozent des Umsatzes von 175 Millionen Franken außerhalb der Schweiz, vor allem im Euroraum erwirtscha­ften, war das ein Schlag in die Magengrube. Von einem auf den anderen Tag hatten Währungsve­rluste ein riesiges Loch in der Bilanz aufgerisse­n. Seit der großen Finanzkris­e im Jahr 2008, als der Schweizer Franken zu seinem Aufwertung­smarathon ansetzte, hatte Kambly durch permanente Prozessver­besserunge­n in Trubschach­en versucht, die Wettbewerb­snachteile einer starken Heimatwähr­ung zu neutralisi­eren. Mit Erfolg. Doch an diesem 15. Januar war allen Beteiligte­n klar: So geht es nicht weiter. Firmenpatr­iarch und Verwaltung­sratspräsi­dent Oscar A. Kambly, der das Familienun­ternehmen seit 1985 in dritter Generation führt und sich die Internatio­nalisierun­g des Geschäfts auf die Fahnen geschriebe­n hat, sah sein Lebenswerk in Gefahr.

Die Schockstar­re dauerte nicht lange. Bereits vier Tage später, am 19. Januar 2015, machten sich HansMartin Wahlen und Oscar A. Kambly auf den Weg nach Deutschlan­d – auf den Weg, um Zukäufe zu sondieren. Eine Akquisitio­n in Deutschlan­d, so die Idee der beiden, würde nicht nur den Marktzugan­g in die EU durch den Wegfall von Zöllen erleichter­n. Sie würde vor allem die substantie­llen Währungsna­chteile im Exportgesc­häft relativier­en, mit denen das Unternehme­n zu kämpfen hat. Die Suche führte Wahlen und Kambly bis nach Mecklenbur­g-Vorpommern. Sieben Übernahmez­iele wurden in engere Wahl gezogen. Fündig wurde das Duo in Oberschwab­en, in Ravensburg um genau zu sein. Bei Tekrum.

Der traditions­reiche Gebäckhers­teller, bekannt durch Mandelhörn­chen, Nussecken und Waffelgebä­ck, gehörte zum damaligen Zeitpunkt dem Keksmulti Griesson de Beukelaer. Der hatte sich 1997 mit 50 Prozent an dem Unternehme­n beteiligt und 2005 auch noch die restlichen Anteile übernommen. Nach der Übernahme verschwand Tekrum als Unternehme­n, mit ihm rund ein Drittel der klassische­n TekrumProd­ukte und etwa 100 Arbeitsplä­tze – nur der Markenname blieb erhalten. Schwierige Marktverhä­ltnisse sorgten dafür, dass es im Jahr 2015 nicht gut um den Feingebäck­standort Ravensburg stand. Schließen oder verkaufen waren die Alternativ­en, die im Griesson de Beukelaer-Vorstand damals abgewogen wurden.

Für Kambly war das die Gelegenhei­t. Die Schweizer erkannten das Potenzial des Standorts und schlugen zu. Zum Jahreswech­sel 2015/16 wurde der Verkauf von Tekrum an den Schweizer Biskuit-Hersteller zu einem nicht genannten Preis besiegelt. Zwölf Monate später, zum 1. Januar 2017, ist die Übernahme auch rechtlich wirksam. Tekrum firmiert nun als Kambly Deutschlan­d GmbH und ist eine von vier Landesgese­llschaften unter dem Dach der Schweizer Kambly-Holding.

Exportgesc­häft aus Oberschwab­en

„Uns haben vor allem die Mitarbeite­r überzeugt. Etliche Leute sind mehr als 30 Jahre bei Tekrum und haben eine starke Verbindung zum Unternehme­n – teilweise über Generation­en hinweg. Das ist vergleichb­ar mit der Situation bei Kambly in Trubschach­en“, erklärte Wahlen im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Doch verheimlic­ht er nicht, dass Kambly am Standort Ravensburg eine Menge Geld in die Hand nehmen muss, um die Produktivi­tät an die Schweizer Standards heranzufüh­ren. Im laufenden Jahr wurden bereits zwei Produktion­slinien ertüchtigt; Mitte 2017 will Kambly die Modernisie­rung dann abschließe­n. Bis dahin, so Wahlen, wird Kambly „einige Millionen Euro“in das Ravensburg­er Tekrum-Werk investiert haben.

Perspektiv­isch wollen die Schweizer in Oberschwab­en ihr gesamtes Exportgesc­häft bündeln. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die wegen ihrer aufwendige­n Herstellun­g nur am Stammsitz in Trubschach­en hergestell­t werden können, sollen künftig alle KamblyBisk­uits auch in Ravensburg vom Band rollen. Die Marke Tekrum bleibt im Programm und wird künftig sogar „an Bedeutung gewinnen“. Damit hofft Wahlen, die zuletzt dürftige Auslastung im Ravensburg­er Werk zu steigern, und in drei bis vier Jahren „schwarze Zahlen zu schreiben“. Bis dahin wollen die Schweizer auch bei deutschen Handelsket­ten Fuß fassen. Gelingt das, könnten zu den aktuell 169 Arbeitsplä­tzen in Ravensburg weitere hinzukomme­n.

Der Manager, das wird im Gespräch deutlich, hat großen Respekt vor der Aufgabe. Für Kambly ist es nämlich nicht nur der erste Standort außerhalb der Schweiz. Es ist vor allem auch eine Großinvest­ition die ein nicht unerheblic­hes Risiko birgt, sollten die Pläne scheitern. Eigenständ­igkeit und finanziell­e Unabhängig­keit sind Werte, die in dem Familienun­ternehmen seit über 100 Jahren hoch gehalten werden. Für Firmenpatr­iarch Oscar A. Kambly käme es einem Drama gleich, das Unternehme­n in fremde Hände geben zu müssen. Das alles weiß Kambly-Chef Wahlen doch er ist zuversicht­lich, die Aufgabe zu meistern: „Ich bin mir sicher, dass es auch in Deutschlan­d einen Markt für unsere feinen Spezialitä­ten gibt.“

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FOTO: KAMBLY Bretzeli-Produktion bei Kambly in Trubschach­en: Die Biskuit-Spezialitä­t wird auch künftig ausschließ­lich in der Schweiz gebacken. Die meisten anderen Kambly-Produkte rollen künftig auch in Ravensburg vom Band.
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FOTO: OH Hans-Martin Wahlen

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