Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Süße Versuchung
Der Franken-Schock hat den Schweizer Biskuit-Hersteller Kambly ins Ausland getrieben – zu Tekrum nach Ravensburg
- Es ist der 15. Januar 2015 der den Stein ins Rollen bringt: Am Hauptsitz des Schweizer Feingebäckherstellers Kambly aus Trubschachen im Emmental, 40 Kilometer östlich von Bern, sitzt die Führungsmannschaft in einer Sitzung als sie die Hiobsbotschaft aus Zürich ereilt. „Daraufhin war erst einmal nur Stille“erinnert sich Unternehmenschef Hans-Martin Wahlen an diesen denkwürdigen Spätvormittag.
Minuten vorher hatte die Schweizerische Nationalbank (SNB) in einem für die Finanz- und Wirtschaftswelt vollkommen überraschenden Schritt den Mindestkurs, mit dem der Schweizer Franken an den Euro gekoppelt war, aufgehoben. Der Euro fällt ins Bodenlose: von 1,20 Franken, dem seit 2011 geltenden Kursziel der SNB, auf kurzzeitig nur noch 85 Rappen. Korrespondierend dazu wertet der Franken massiv auf. Am Ende des Tages, der in den Wirtschaftsannalen als Franken-Schock Eingang findet, bleibt ein Plus von rund 20 Prozent übrig.
Lebenswerk in Gefahr
Für Kambly, die rund 40 Prozent des Umsatzes von 175 Millionen Franken außerhalb der Schweiz, vor allem im Euroraum erwirtschaften, war das ein Schlag in die Magengrube. Von einem auf den anderen Tag hatten Währungsverluste ein riesiges Loch in der Bilanz aufgerissen. Seit der großen Finanzkrise im Jahr 2008, als der Schweizer Franken zu seinem Aufwertungsmarathon ansetzte, hatte Kambly durch permanente Prozessverbesserungen in Trubschachen versucht, die Wettbewerbsnachteile einer starken Heimatwährung zu neutralisieren. Mit Erfolg. Doch an diesem 15. Januar war allen Beteiligten klar: So geht es nicht weiter. Firmenpatriarch und Verwaltungsratspräsident Oscar A. Kambly, der das Familienunternehmen seit 1985 in dritter Generation führt und sich die Internationalisierung des Geschäfts auf die Fahnen geschrieben hat, sah sein Lebenswerk in Gefahr.
Die Schockstarre dauerte nicht lange. Bereits vier Tage später, am 19. Januar 2015, machten sich HansMartin Wahlen und Oscar A. Kambly auf den Weg nach Deutschland – auf den Weg, um Zukäufe zu sondieren. Eine Akquisition in Deutschland, so die Idee der beiden, würde nicht nur den Marktzugang in die EU durch den Wegfall von Zöllen erleichtern. Sie würde vor allem die substantiellen Währungsnachteile im Exportgeschäft relativieren, mit denen das Unternehmen zu kämpfen hat. Die Suche führte Wahlen und Kambly bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Sieben Übernahmeziele wurden in engere Wahl gezogen. Fündig wurde das Duo in Oberschwaben, in Ravensburg um genau zu sein. Bei Tekrum.
Der traditionsreiche Gebäckhersteller, bekannt durch Mandelhörnchen, Nussecken und Waffelgebäck, gehörte zum damaligen Zeitpunkt dem Keksmulti Griesson de Beukelaer. Der hatte sich 1997 mit 50 Prozent an dem Unternehmen beteiligt und 2005 auch noch die restlichen Anteile übernommen. Nach der Übernahme verschwand Tekrum als Unternehmen, mit ihm rund ein Drittel der klassischen TekrumProdukte und etwa 100 Arbeitsplätze – nur der Markenname blieb erhalten. Schwierige Marktverhältnisse sorgten dafür, dass es im Jahr 2015 nicht gut um den Feingebäckstandort Ravensburg stand. Schließen oder verkaufen waren die Alternativen, die im Griesson de Beukelaer-Vorstand damals abgewogen wurden.
Für Kambly war das die Gelegenheit. Die Schweizer erkannten das Potenzial des Standorts und schlugen zu. Zum Jahreswechsel 2015/16 wurde der Verkauf von Tekrum an den Schweizer Biskuit-Hersteller zu einem nicht genannten Preis besiegelt. Zwölf Monate später, zum 1. Januar 2017, ist die Übernahme auch rechtlich wirksam. Tekrum firmiert nun als Kambly Deutschland GmbH und ist eine von vier Landesgesellschaften unter dem Dach der Schweizer Kambly-Holding.
Exportgeschäft aus Oberschwaben
„Uns haben vor allem die Mitarbeiter überzeugt. Etliche Leute sind mehr als 30 Jahre bei Tekrum und haben eine starke Verbindung zum Unternehmen – teilweise über Generationen hinweg. Das ist vergleichbar mit der Situation bei Kambly in Trubschachen“, erklärte Wahlen im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Doch verheimlicht er nicht, dass Kambly am Standort Ravensburg eine Menge Geld in die Hand nehmen muss, um die Produktivität an die Schweizer Standards heranzuführen. Im laufenden Jahr wurden bereits zwei Produktionslinien ertüchtigt; Mitte 2017 will Kambly die Modernisierung dann abschließen. Bis dahin, so Wahlen, wird Kambly „einige Millionen Euro“in das Ravensburger Tekrum-Werk investiert haben.
Perspektivisch wollen die Schweizer in Oberschwaben ihr gesamtes Exportgeschäft bündeln. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die wegen ihrer aufwendigen Herstellung nur am Stammsitz in Trubschachen hergestellt werden können, sollen künftig alle KamblyBiskuits auch in Ravensburg vom Band rollen. Die Marke Tekrum bleibt im Programm und wird künftig sogar „an Bedeutung gewinnen“. Damit hofft Wahlen, die zuletzt dürftige Auslastung im Ravensburger Werk zu steigern, und in drei bis vier Jahren „schwarze Zahlen zu schreiben“. Bis dahin wollen die Schweizer auch bei deutschen Handelsketten Fuß fassen. Gelingt das, könnten zu den aktuell 169 Arbeitsplätzen in Ravensburg weitere hinzukommen.
Der Manager, das wird im Gespräch deutlich, hat großen Respekt vor der Aufgabe. Für Kambly ist es nämlich nicht nur der erste Standort außerhalb der Schweiz. Es ist vor allem auch eine Großinvestition die ein nicht unerhebliches Risiko birgt, sollten die Pläne scheitern. Eigenständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit sind Werte, die in dem Familienunternehmen seit über 100 Jahren hoch gehalten werden. Für Firmenpatriarch Oscar A. Kambly käme es einem Drama gleich, das Unternehmen in fremde Hände geben zu müssen. Das alles weiß Kambly-Chef Wahlen doch er ist zuversichtlich, die Aufgabe zu meistern: „Ich bin mir sicher, dass es auch in Deutschland einen Markt für unsere feinen Spezialitäten gibt.“