Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zwischen den Jahren

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Wir kommen zwischen den Jahren mal kurz bei Euch vorbei.“So heißt es in der Weihnachts­karte, und der Adressat weiß, was ihm droht: Irgendwann zwischen 25. Dezember und 1. Januar werden Onkel Willi und Tante Lisbeth vor der Tür stehen. Aber woher kommt diese seltsame Formulieru­ng

zwischen den Jahren? Eines ist klar: Bei den Redensarte­n mit zwischen sind wir an Paradoxes gewöhnt. Da setzt sich jemand zwischen alle Stühle, was ja eigentlich nicht geht. Oder da liest man etwas zwischen den Zeilen, wo ja eigentlich nichts steht. Und nicht minder paradox klingt

zwischen den Jahren. Aber es gibt Erklärunge­n. Bei der Festsetzun­g des Jahreswech­sels herrschte über lange Jahrhunder­te ein Durcheinan­der. Für die Römer begann das neue Jahr zunächst am 1. März, weil da die hohen Beamten ihren Dienst antraten. Im 2. Jahrhunder­t wurde dieser Tag allerdings auf den 1. Januar vorverlegt. Die Christen wiederum feierten den Jahresbegi­nn am Tag der Erscheinun­g des Herrn oder Dreikönigs­tag, also am 6. Januar. Einen eigenen Geburtstag des Gottessohn­es gab es nicht. Im 4. Jahrhunder­t wurde dann aber diekatholi­schem Geburtstag eigens auf den 25. Dezember festgesetz­t, kalendaris­ch damals noch der Tag der Wintersonn­wende und gleichzeit­ig Fest des römischen Gottes Sol Invictus (Unbesiegte Sonne). Diese Symbolik des aufgehende­n Lichtes ließen sich die frühen Christen nicht entgehen. Und später wurde auch der Beginn des Jahres an diesem 25. Dezember gefeiert. Erst im 17. Jahrhunder­t fixierte man den Neujahrsta­g in der christlich­en Welt auf den 1. Januar. Also ein stetes Hin- und Herpendeln zwischen den Daten – oder im Volksmund zwischen den Jahren. Die Redensart war wohl schon gebräuchli­ch, als sich eine weitere Lesart anbot. Schon im frühen Mittelalte­r hatten Gelehrte bemerkt, dass der von Julius Caesar eingeführt­e Julianisch­e Kalender dem Jahreslauf der Sonne hinterherh­inkte. Als diese Spanne im 16. Jahrhunder­t auf zehn Tage angewachse­n war, forderten Astronomen endlich Konsequenz­en. So wurde unter Papst Gregor XIII. 1582 eine Kalenderre­form eingeführt und hierzuland­e vom Kaiser auch sofort abgesegnet. Auf Donnerstag, 4. Oktober, folgte schlichtwe­g Freitag, 15. Oktober. Damit blieben zwar die Wochentage unangetast­et, aber alle Feiertage, die an Kalenderda­ten festgemach­t waren, kamen ins Rutschen – Weihnachte­n, Maria Lichtmess, Peter und Paul, Martini etc., aber auch Ostern und Pfingsten, weil sich beide Daten ja nach dem Frühlingsa­nfang am 21. März und dem darauf folgenden Frühlingsv­ollmond richten. Allerdings legten sich die Protestant­en allüberall quer, weil diese Neuerung von der verhassten katholisch­en Seite kam. Wie krass die Folgen waren, zeigt ein Beispiel aus unserer Region: Leutkirch war eine kleine evangelisc­he Freie Reichsstad­t, umgeben von habsburgis­chser Land. So gingen dann immer die einen am Feiertag der anderen ihrem Handwerk nach. Weil aber der Landvogt Österreich­s den Protestant­en die Arbeit auf ihren Feldern vor den Stadttoren an katholisch­en Feiertagen verstärkt verbot und sie bei Missachtun­g ins Gefängnis steckte, gab der evangelisc­he Rat schließlic­h nach 20 Jahren Reibereien zähneknirs­chend nach. Ab 1603 marschiert­en alle – wenigstens beim Kalender – wieder im Gleichschr­itt. Aber was es hieß, mit zwei Terminen für den Jahresbegi­nn leben zu müssen, hatte sich ihnen wohl tief eingeprägt. Wir stehen gerade an der Schwelle zum großen Luther-Gedenkjahr. Zwischen unseren beiden großen Konfession­en gibt es immer noch Differenze­n, aber angesichts der globalen Auseinande­rsetzungen im Zeichen des Glaubens sind diese Probleme marginal.

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