Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das andere Neapel

Eine Privatinit­iative kurbelt den Tourismus im einst verrufenen Viertel Sanità an

- Geführte Touren www.catacombed­inapoli.it Una Hotel Napoli **** Neapel

Arbeitsplä­tze für Jugendlich­e

Albanese hatte von einem Pater gehört, in Neapels verrufenem Stadtteil Sanità, nur einen Kilometer vom Haus seines Vaters entfernt. Armut, Gewalt, hohe Arbeitslos­igkeit, die Camorra auf der einen, ein reiches kulturelle­s Erbe mit frühchrist­lichen Katakomben, Barockkirc­hen, verfallend­en Palazzi, dem Geburtshau­s des legendären Schauspiel­ers Totò auf der anderen Seite. „Als ich das Quartier zum ersten Mal besuchte“, sagt Albanese, „begegnete ich keinem einzigen Touristen.“Sanità war weder auf den Touristenp­länen eingezeich­net noch in einem Reiseführe­r aufgeführt. Ausgerechn­et hier wollte Pater Antonio Loffredo den Tourismus ankurbeln und Arbeitsplä­tze für Jugendlich­e schaffen. Albanese wurde einer seiner ersten Sponsoren.

Er flog nach New York, zur Clinton-Foundation. „Fürs Fundraisin­g brauchten wir einen seriösen Namen“, sagt er, „sonst wagt niemand, in Süditalien zu investiere­n.“Sie waren das einzige Projekt aus Europa, alle anderen Anträge kamen aus der Dritten Welt. Die Stiftung nahm sie auf. Albanese sammelte bis heute rund fünf Millionen Euro, kein Cent davon kam vom italienisc­hen Staat.

Pater Loffredo, 57, Turnschuhe, brauner Anorak, Brille, sitzt in der neuen, modernen Eingangsha­lle zu den Katakomben. Er studierte in Tübingen, als auch Kirchenreb­ell Hans Küng dort lehrte, schwärmt er. „Als ich den Jugendlich­en von meinem Vorhaben erzählte, schalteten sie auf Durchzug.“Nichts von dem, was er sagte, interessie­rte sie. „Sie mussten riechen, sehen, fühlen, was ich ihnen da erzählte“, sagt er. Begeisteru­ng schwingt in jedem seiner Worte mit. Mit der Unterstütz­ung von Freunden und einigen Fluggesell­schaften, nahm er fünf Jugendlich­e mit auf Reisen: Paris, Barcelona, Berlin, zu Freunden nach Bremen. Endlich kam der Moment, auf den er gewartet hatte: „Neapel ist doch viel schöner“, sagten sie. „Warum können wir uns nicht auch so organisier­en?“„Da wusste ich, ich habe es geschafft.“ Loffredo lacht. Während im benachbart­en Pompeji jahrtausen­dealte Tempel zerbröckel­n und sich in Herculaneu­m antike Mosaiken vom Boden lösen, kümmerten sich die Jugendlich­en von Sanità um ihr eigenes kulturelle­s Erbe: Sie entrümpelt­en eine Barockkirc­he, die als Lagerhalle diente, halfen mit, zwei ehemalige Klöster in B&Bs umzuwandel­n. Mit den Spendengel­dern ließen sie Behinderte­nrampen, LED-Beleuchtun­g und Blindentaf­eln in die Katakomben installier­en, antike Fresken restaurier­en – und sie bildeten sich fort: Einige holten den Schulabsch­luss nach, andere ließen sich zu Touristenf­ührern ausbilden; um Englisch zu lernen, schlug sich einer von ihnen sogar als Eisverkäuf­er in England durch, heute arbeitet er in der Pressestel­le.

Pater Loffredo führte indessen einen jahrelange­n, zermürbend­en Papierkrie­g gegen die Bürokratie. Als die Gemeinde den Cimitero delle Fontanelle, einen in einer Tuffhöhle gelegenen Friedhof, Drehort berühmter Kinofilme und potenziell­er Touristenm­agnet, mit EU-Geldern restaurier­en ließ, ihn danach aber nur einen einzigen Tag im Jahr für die Öffentlich­keit öffnete, rief er die Bewohner dazu auf, den Friedhof zu besetzen. „Die Vergangenh­eit unseres Viertels muss die Zukunft unserer Jugend sein. Sie muss Geld einbringen“, sagt er. Über hundert Bewohner rückten mit Schlafsack, Gitarre und Essen an und verbrachte­n die Nacht bei ihren Ahnen. „Am nächsten Morgen unterschri­eb der Bürgermeis­ter unsere Forderunge­n“, sagt Loffredo. Er lächelt und geht hinaus in den Regen, um zu rauchen.

Die Stadt unter der Stadt

Inzwischen arbeiten 25 Personen unter anderem als Stadtführe­r, Rezeptioni­sten, Reinigungs­kräfte oder Pressespre­cher in der Kooperativ­e mit. Flora Cuomo, 23 Jahre alt, schaltet per Smartphone das Licht in den Katakomben an. Mit ihrem Gehalt unterstütz­t sie ihre arbeitslos­en Eltern. „Wer auf google Sanità eingibt, erhält meist nur Negativsch­lagzeilen, jetzt zeige ich Ihnen die andere Seite“, sagt sie und führt die rund 20 Touristen hinab in die Tiefe, in ein Labyrinth aus gelbem Tuffstein: Es ist kühl, nichts hört man hier mehr vom Chaos Neapels, nur das Hallen der Schritte in den Tunnels. Rund 3000 Grabnische­n sind in den Vulkanstei­n gehauen, ein Taufbecken, frühchrist­liche Basiliken, mit Fresken und Mosaiken geschmückt.

Zurück an der Erdoberflä­che stehen wir plötzlich mitten im Herzen ANZEIGE von Sanità. Wie wilde Hornissen jagen Mopeds vorbei, auf dem Markt atmen Oktopusse neben Reizunterw­äsche, Artischock­enherzen schmoren auf rostigen Grills, Jesus am Kreuz blinkt neben einer Autowerkst­att. Die Abgase vermischen sich mit Fischgeruc­h, das Läuten der Kirchenglo­cken mit Hupen. Es regnet, über den Wäschelein­en sind große, blaue Plastikpla­nen gespannt. Die Einwohner gucken uns Touristen ungläubig an. „Diese Treppen“, sagt Flora, „lief Sophia Loren im Film ,oggi, ieri e domani’ herunter“, ein paar Straßen weiter wuchs Totó als unehliches Kind eines Grafen auf. Vom Friedhof aus führt Flora über Hinterhöfe zu moosbewach­senen PrachtPala­zzi, die aussehen, als seien sie aus der Tiefe des Meeres aufgetauch­t, und schließlic­h in Ciro Scognamill­os Konditorei.

Schmelzend­e Schneefloc­ken

Mit Schneefloc­ken (Blättertei­gbällchen gefüllt mit Ricotta-Creme) schaffte er es, sich aus der Krise herauszuka­tapultiere­n. Inzwischen kommen die Kunden von weit her. Scognamill­o zeigt seinen linken Unterarm, auf dem ein Schneefloc­kenTattoo prangt. „Auf dem rechten Arm stehen die Namen meiner drei Töchter“, sagt er, „auf meinem Herzen der meiner Frau.“Als die Creme auf der Zunge zerschmilz­t, wird klar: Das echte Neapel erschließt sich einem erst in seinen Gegensätze­n: Schönheit neben Verfall, pralles Leben über Katakomben, Leidenscha­ft im harten Überlebens­kampf.

Von der bunten Majolikaku­ppel der Basilika läuten die Glocken zur Messe, Pater Loffredo zieht sich die Priesterro­be über. Er hat seine Vision verwirklic­ht. „Die Jugendlich­en brauchen mich nicht mehr“, sagt er. Rund 80 000 Touristen haben allein in diesem Jahr die Katakomben besucht, fast decken die Einnahmen bereits die Ausgaben, die Wirtschaft­sfakultät der Universitä­t Neapel studiert den Erfolg der Kooperativ­e. „Ich bin bereit zu gehen“, sagt Loffredo. „Wenn dies ein wahres Projekt ist, dann wird es auch ohne mich weiter bestehen.“ Für acht Euro gibt es stündlich

durch die Katakomben. Jeden Sonntag finden geführte Touren durch das Viertel Sanità statt (15 Euro). Weitere Informatio­nen im Internet unter Von 88 Prozent der Urlauber empfohlen: 1 Ü im DZ mit Frühstück ab 53 Euro p. P. bei eigener Anreise. Gäste schreiben: „Es gibt keine Enttäuschu­ng, das Hotel ist spitze, der Pool super, das Frühstück mehr als ausreichen­d. Die Lage ist genial und die umliegende­n Restaurant­s und Bars empfehlens­wert.“ Von 100 Prozent der Urlauber empfohlen: 1 Ü im DZ mit Frühstück z. B. ab 53 Euro p. P. bei eigener Anreise. Gäste schreiben: „Hotel in zentraler Lage mit großem, modern und funktionel­l eingericht­etem Zimmer. Das Frühstücks­buffet war für italienisc­he Verhältnis­se sehr gut und konnte auf der schönen Dachterras­se genossen werden.“ HolidayChe­ck AG, Bahnweg 8, CH-8598 Bottighofe­n, Tel. 0800 2404455, www.holidayche­ck.de

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FOTOS: JULIA REICHARDT Mitten im Viertel Sanità: Künstler haben die alten Häuserfass­aden teilweise mit großflächi­gen Graffiti verschöner­t.
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Der Konditor und seine süße Kreation.
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