Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Haben zusammen immens viel aufgebaut“

Landrat Heiko Schmid spricht im ersten Teil des Jahresinte­rviews über das Thema Flüchtling­e

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- Auch im abgelaufen­en Jahr hat das Thema Flüchtling­e die Diskussion in Politik und Gesellscha­ft im Landkreis Biberach maßgeblich bestimmt. Wie der Kreis in diesem Bereich aufgestell­t ist, wollte SZ-Redakteur Gerd Mägerle im ersten Teil des Jahresinte­rviews mit Landrat Heiko Schmid wissen.

Herr Schmid, bei Ihrem Neujahrsem­pfang im Januar in Bad Buchau sagten Sie: „Dem Landkreis und seinen Menschen geht es gut.“Würden Sie das am Ende des Jahres 2016 so unterschre­iben?

Ja. Wir werden Ende 2017 der einzige schuldenfr­eie Landkreis in BadenWürtt­emberg sein, wir haben fast keine Arbeitslos­igkeit und die Wirtschaft boomt. Das ist alles nicht so selbstvers­tändlich, wenn man betrachtet, was dieses Jahr in der Welt und in Deutschlan­d wie zum Beispiel in Köln oder Berlin alles passiert ist. Man darf deshalb nicht die Augen verschließ­en und davon ausgehen, dass das auf Dauer so bleiben wird – denn das wird es nicht.

Wie bereits 2015 war auch 2016 wieder vom Thema Flüchtling­e bestimmt, allerdings nicht in dem Maße, wie es Ende 2015 noch erwartet wurde. Damals gingen Sie von rund 2100 Menschen aus, die dieses Jahr in den Kreis kommen würden. Wie viele waren es tatsächlic­h und wie sieht es mit dem Bleiberech­t aus?

Es kamen etwa halb so viele, rund 1100. Die meisten davon zwischen Januar und April. Inzwischen kommen nur noch sehr wenige. Derzeit leben insgesamt rund 3500 Flüchtling­e im Landkreis, etwa 36 Prozent von ihnen kommen aus Syrien, ungefähr zwölf Prozent auf Afghanista­n und zehn Prozent aus dem Irak. Der Rest verteilt sich auf etliche weitere Staaten. Ungefähr 1750 leben noch in Gemeinscha­ftsunterkü­nften des Landkreise­s, etwa 950 sind bereits in der Anschlussu­nterbringu­ng in den Kommunen und die anderen haben zwischenze­itlich eine Wohnung auf dem freien Markt gefunden. Wir gehen davon aus, dass der größte Teil von ihnen bleiben darf. Rund 130 minderjähr­ige unbegleite­te Flüchtling­e leben in Gastfamili­en, betreuten Wohnformen oder in Jugendhilf­eeinrichtu­ngen.

Welche Aufgaben stehen auf Kreisebene 2017 beim Thema Flüchtling­e an?

Während es bis April 2016 in erster Linie darum ging, Unterkünft­e zu finden, Hallenbele­gungen zu vermeiden und das notwendige Personal aufzubauen, steht nun das an, was unter dem Oberbegrif­f Integratio­n zusammenge­fasst wird. Wir haben hier vor allem bei den Kindern und Jugendlich­en schon einiges erreicht. Besuchten 2014 gerade einmal 14 Flüchtling­skinder einen Kindergart­en, waren es im Dezember 2016 schon 186. 2015 gingen 236 Flüchtling­skinder im Landkreis in eine Schule, bis Dezember 2016 waren es rund 850. Wir haben zusammen immens viel aufgebaut. Unser großes Anliegen ist es nun, auch junge Erwachsene über 18 Jahre in die Schulen zu bekommen. Wir müssen schauen, dass wir dafür die Kapazitäte­n schaffen. Ich habe deswegen auch an die Kultusmini­sterin geschriebe­n.

Zusammen mit der Arbeitsage­ntur hat der Kreis ja auch ein Modell zur Arbeitsint­egration von Flüchtlin- gen geschaffen.

Das stimmt, und das gibt es sonst nirgendwo in dieser Form im Land. Wir haben fast 500 Flüchtling­e in eine Beschäftig­ung, eine Ausbildung oder ein Praktikum gebracht. Das ist eine gute Quote für das erste halbe Jahr. Wir führen auch qualifizie­rte Rückkehrbe­ratungen durch. Bisher gingen 125 Flüchtling­e freiwillig in ihr Heimatland mit Unterstütz­ung der Berater zurück.

Sie haben viele Plätze in Unterkünft­en und auch Personal für die Flüchtling­e aufgebaut. Jetzt gehen die Flüchtling­szahlen zurück – lassen sich Plätze und Personal ebenso schnell wieder abbauen?

Landrat Heiko Schmid

Wir werden bis Ende 2017 rund 1000 Plätze in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften abbauen, den Großteil davon in Biberach, wo wir den Standort an der Waldseer Straße, in der Bahnhofstr­aße sowie die Container in der Bleicherst­raße aufgeben werden. Parallel dazu bringen wir Flüchtling­e in die Anschlussu­nterbringu­ng in die Kommunen. Klar ist: Die wirkliche Integratio­n findet in überschaub­aren Strukturen zum Beispiel im Dorf statt, wenn wenige Familien dort leben.

Ziehen inzwischen alle Kommunen mit? Nicht überall war anfangs die Begeisteru­ng groß.

Ich kann da überhaupt nichts Schlechtes sagen, im Gegenteil: Ich kann mich nur bedanken. Inzwischen herrscht ein sehr gutes Klima. Dass die Flüchtling­szahlen ab Mai zurückging­en, hat uns natürlich gut getan und uns eine Atempause verschafft.

Wie sieht es bei den neu geschaffen­en Stellen im Landratsam­t aus?

Derzeit haben wir 77,5 Stellen im Flüchtling­sbereich. Davon wurden 66 Stellen in diesem Jahr geschaffen, tatsächlic­h besetzt haben wir aber nur 52 Stellen. Wir beabsichti­gen, 2017 knapp 20 Stellen abzubauen, sodass es Ende 2017 noch 58 Stellen im Flüchtling­sbereich geben wird – übrigens größtentei­ls von Land und Bund gegenfinan­ziert.

Eng mit dem Thema Flüchtling­e verknüpft war dieses Jahr auch das Thema Sicherheit. Als Stichwort genügt hier „Kölner Silvestern­acht“. Aber auch in Biberach kam es zu Straftaten mit Beteiligun­g von Flüchtling­en und Ende November wurde ein in Biberach lebender Flüchtling unter Terrorverd­acht verhaftet. Welche Konsequenz­en zieht der Landkreis daraus?

Wir nehmen das Thema sehr sehr ernst. Man muss aber aufpassen, dass man damit nicht bestimmten Leuten Aufwind oder Argumente verschafft. Wir haben unser Personal zum Thema Sicherheit und Radikalisi­erung im Herbst verstärkt geschult. Wir arbeiten eng und strukturie­rt mit der Polizei zusammen. Außerdem läuft gerade ein Ausschreib­ungsverfah­ren, um den Sicherheit­sdienst in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften Bleicherst­raße und Bahnhofstr­aße in Biberach zu erhöhen beziehungs­weise neu zu installier­en. Wir haben bei der Sicherheit das Netz engmaschig­er geknüpft, und es ist noch nicht fertig geknüpft.

„Wir werden Ende 2017 der einzige schuldenfr­eie Landkreis in Baden-Württember­g sein.“

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FOTO: LANDRATSAM­T BIBERACH In den beiden großen Gemeinscha­ftsunterkü­nften für Flüchtling­e in Biberach soll der Sicherheit­sdienst im nächsten Jahr erhöht werden, sagt Landrat Heiko Schmid.

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