Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der digitale Concierge

Chatbots als Helfer für Dienstleis­tungen sollen das digitale Geschäft bestimmen

- Von Tanja Tricarico -

„Guten Tag, ich bin Otto. Ich bin ein Bot, der dich durch die App begleitet.“Wer erstmals den Messengerd­ienst „wire“benutzt, dem stellt sich Roboter Otto vor. Er sieht ein bisschen aus wie die Schmalspur­version von R2D2 aus dem Film „Star Wars“. Otto kann mit den Armen wedeln, die Augen wackeln lassen und ist immer nett und freundlich. „Schreibe mir etwas, um weiterzuma­chen“, fordert Otto. „Hallo“, schreibe ich. „Prima“, erwidert Otto.

Otto und seine Kollegen sind so etwas wie digitale Helfer. Sie sollen gestresste Mitarbeite­r entlasten, für schnellere­n und preiswerte­ren Service sorgen, für sämtliche Angebote, digitale wie analoge. Ihr Job: Die Kommunikat­ion zwischen Mensch und Firma, zwischen Nutzer und Dienstleis­ter. In Deutschlan­d steht man bei der Anwendung von Chatbots im Kundenserv­ice noch relativ am Anfang. „Im Prinzip geht es hier um eine Weiterentw­icklung der Telefonhot­line und der Kundenbetr­euung“, sagt Peter Meyer, Experte für IT-Sicherheit beim Verband der Internetwi­rtschaft eco.

Noch würde man in vielen Branchen den Dialog mit dem Roboter als Science-Fiction bezeichnen. Doch laut Meyer wird es in wenigen Jahren für den Verbrauche­r nicht mehr zu erkennen sein, ob man mit einem Menschen oder mit einer künstliche­n Intelligen­z spricht. Sprachprog­ramme wie Siri zeigten bereits, wie weit die Technik derzeit sei. Spätestens in fünf bis zehn Jahren soll die Technologi­e deutlich profession­eller sein, vermutet Meyer. Dann könnte Siri beispielsw­eise Urlaubsrei­sen nach den Vorlieben des Nutzers selbststän­dig buchen. Der Mensch muss nur noch die Bestätigun­g für die passgenaue Reise klicken.

Immer bereit zu helfen

Ich will eine Sprachnach­richt aufnehmen und verschicke­n. Doch ich berühre an der falschen Stelle das Smartphone-Display. „Das war leider nicht ganz richtig“, schreibt Otto. „Probiere es noch einmal.“Otto ist geduldig und allzeit bereit zu helfen. Am frühen Morgen, an Feiertagen, mitten in der Nacht.

Thomas Wilde und seine Kollegen schaffen die technische­n Voraussetz­ungen für solche digitalen Helfer wie Otto. „Unsere Social-Media-Lösungen nutzen insbesonde­re Firmen, die mit ihren Kunden regelmäßig im Dialog stehen“, sagt Wilde. Er ist Geschäftsf­ührer von BIG Social Media in Berlin. Die Telekom oder die Internetfi­rma 1&1 gehören zu seinen Kunden, Supermärkt­e, Automobilh­ersteller, jegliche Art von Dienstleis­tern. Wildes Unternehme­n schließt eine Lücke, die die Digitalisi­erung und die sozialen Medien aufgetan haben: Das Kommunikat­ionsverhal­ten der Menschen hat sich verändert. Gab es früher Probleme mit der Lieferung von Waren oder kamen Fragen zu einer Werbeaktio­n auf, suchte sich der Kunde die passende Abteilung im Unternehme­n dafür. Heute werden Anfragen vermehrt zentral von einer Stelle aus gesteuert. Wildes Software organisier­t, ordnet und verwaltet die Flut an Informatio­nen und Anfragen.

45 Mitarbeite­r hat die BIG Social Media GmbH. Vor allem Informatik­er arbeiten für das Berliner Unternehme­n. Sie legen Wissensdat­enbanken an, programmie­ren die Algorithme­n. Seit zehn Jahren gibt es die Firma. Die Nachfrage, vor allem nach den Bots, hat die Firma schnell wachsen lassen. „Das Thema stand lange nur in der Spieleecke“, sagt Wilde. „Viele Serviceent­scheider haben nicht an den Erfolg der Bots geglaubt.“Heute ist den meisten Dienstleis­tern klar: Kundenserv­ice am Telefon ist viel zu teuer. Service über Messenger oder soziale Netzwerke spart jede Menge Geld.

Die Programmie­rer nutzen einen einfachen Trick. In der Regel stellen die Kunden immer dieselben Fragen. Warum funktionie­rt mein Internet nicht? Wo bleibt mein Paket? Wann kommt das neue iPhone? Anstelle eines menschlich­en Mitarbeite­rs, der die immer gleichen Dialoge abspult, übernimmt der Bot, eine künstliche Intelligen­z, die Anfrage. „Der Bot ist immer da“, sagt Geschäftsf­ührer Wilde. Obwohl eine Maschine ihr Anliegen betreut, fühlen sich die Verbrauche­r gut aufgehoben. Schließlic­h spricht das Unternehme­n mit den Kunden. Kein Frust beim Nutzer, kein Druck beim Serviceper­sonal. Kommt der Bot nicht weiter, gibt er in der Regel an den Menschen ab. Der berät dann in verzwickte­n Fällen. Oder wenn die Maschine schlichtwe­g nicht versteht, was der Mensch will.

Idee schon seit den 1970er-Jahren

Bot Otto will mir zeigen, wie ich mit dem Messenger Bilder zeichnen kann. Doch das interessie­rt mich nicht. „Gibt es einen Gruppencha­t?“frage ich. „Wenn Worte nicht ausreichen, kannst du auch ein GIF verschicke­n“, sagt Otto. Otto hat mich nicht verstanden.

Die Idee der Mensch-MaschineKo­mmunikatio­n gibt es seit den 1970er-Jahren. Was damals als beschwerli­che Programmie­raufgabe galt, ist heute technisch kaum noch ein Problem. Für IT-Giganten wie Facebook oder Google ist die Arbeit mit künstliche­r Intelligen­z das Geschäftsm­odell der Zukunft. Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Signal nutzen bereits mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt. Längst geht es nicht mehr nur um die private Nutzung, um Kontakte zwischen Freunden und Familie. Sondern auch um geschäftli­che Beziehunge­n. Bots übernehmen die Automatisi­erung der Kommunikat­ion, und vereinfach­en sie. „Bots müssen die Sprache verstehen und Probleme lösen können“, sagt Wilde. Etwa über die Spracherke­nnung. Ein Beispiel: Wer ein Taxi braucht, meldet sich per Smartphone bei der zuständige­n Zentrale. Eine getippte Nachricht ist nicht notwendig, sondern nur die gesprochen­e Anfrage. Automatisc­h findet der Bot den Standort des Kunden und schickt das Taxi los.

Die Maschine soll perfekter sein als der Mensch, aber sie soll nicht für einen Menschen gehalten werden. „Es sollte für den Nutzer klar sein, dass er mit einem Bot spricht“, sagt Wilde.

Künstliche Intelligen­z ist aus vielen Geschäftsm­odellen, aus vielen digitalen Kommunikat­ionsformen, nicht mehr wegzudenke­n. Aber auch IT-Experte Thomas Wilde weiß, dass die Technologi­e einen „unheimlich­en Manipulati­onsspielra­um“hat. Die Debatte um den Einfluss von Facebook auf die Wahl des nächsten US-Präsidente­n, Donald Trump, hat dies gezeigt. Oder auch die Aussagen der AfD, Social Bots als Kommunikat­ionsmittel im Bundestags­wahlkampf nicht auszuschli­eßen. Diese Bots sollen dafür sorgen, dass Twitter-Tweets oder Nachrichte­n mit bestimmten Schlagwort­en automatisc­h weiterverb­reitet werden. Die Politik sucht noch nach einer passenden Antwort auf die Manipulati­onsmacht von Algorithme­n. Ob ein Gesetz Sinn macht, darüber streiten sich die Experten. Wilde spricht sich für Informatio­nen und Aufklärung über die Nutzung der Technologi­e aus. Verbieten kommt für ihn aber nicht infrage.

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FOTO: ANDREA WARNECKE Die digitale „Siri“hilft Apple-Nutzern jetzt schon unter anderem bei der Onlinesuch­e.

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