Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Und ewig beißt der Terrier
Zum 70. Geburtstag des früheren Weltmeisters und Bundestrainers Berti Vogts – ein Besuch
Wenn Harald Wohlfahrt am heutigen Freitag an den Tisch von Berti Vogts kommt, wird der dann 70-Jährige vielleicht wieder sagen: „Harald, du verteidigst jetzt zwar seit 27 Jahren deine drei Sterne, du bist der Ronaldo der Köche. Und dennoch hast du den falschen Beruf gewählt.“
Dann wird Berti Vogts vielleicht wieder lachen und von einem Spiel von Wohlfahrts Tonbacher gegen eine Auswahl französischer Sterneköche erzählen. „Und du warst im Sturm überragend. Ich habe dir damals gesagt, werde Fußballprofi, dann wirst du ein Star. Aber nein, du hieltest stur am Kochlöffel fest – und das ist gut so.“
Auch deshalb, weil Vogts nun seit 30 Jahren in der Traube Tonbach in Baiersbronn an jedem 30. Dezember seinen Geburtstag feiert. Und weil sein Gaumen mittlerweile so verwöhnt ist wie sein kritischer Blick, mit dem der ehemalige Nationalspieler, Welt- und Europameister und Bundestrainer (1990 bis 1998) den Fußball verfolgt.
Immer noch meinungsstark
Und so legt Berti Vogts beim Besuch der „Schwäbischen Zeitung“gleich mal los, was ihn so alles ärgert: „Wenn die Jungen behaupten, dass Männer wie Günter Netzer, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Uwe Seeler oder Wolfgang Overath heute nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen würden. Gerade die hätten auch in der heutigen Zeit das gewisse Extra.“
Oder: „Wenn in Gladbach zuletzt (vor der Entlassung von Trainer André Schubert, die Red.) die Spieler manchmal gar nicht mehr wussten, wo sie hinlaufen sollten, so viele Systeme wurden dort in wenigen Minuten verändert. Für so viel Flexibilität beschäftigen sich die heutigen Fußballer zu wenig mit Fußball. Wir haben dafür 24 Stunden gelebt.“
Und auch: „Wenn jemand sagt, die Dreierkette sei offensiv. Das ist der größte Unfug! Sie ist das Defensivste überhaupt. Du hast drei Abwehrspieler plus zwei Außenverteidiger, die nach hinten arbeiten. Dazu zwei vor der Dreierkette. Das sind mindestens immer sieben Spieler hinter dem Ball. Bei Chelseas Trainer Antonio Conte dagegen spielen die zwei Verteidiger so weit vorne, das ist unglaublich. Toll zum Anschauen. Fast noch besser als die Teams von Pep Guardiola (ManCity) oder Carlo Ancelotti (Bayern).“
Mit am Tisch sitzen am 30. Dezember meist Justin Vogts, sein Sohn, der nach der Scheidung beim Vater lebt, mittlerweile Feuerwehrmann von Beruf, und Bertis älterer Bruder Heinz-Dieter. Berti erzählt dann lieber vom Angeln in Kanada, ganz nahe neben den Eisbären. „Man muss eine lange Leine führen“, sagt er, „zwanzig, dreißig Meter weit. Und du darfst den Lachs nicht in die Lasche am Körper stecken. Der Eisbär geht nur auf den Lachs, nicht auf den Menschen. Aber wehe, er reißt dich aus Versehen mit …“
Vor zwei Jahren rang Berti Vogts, ohne es zu merken, mit dem Tode. Die Aorta war porös, ein junger Professor in Tübingen setzte ihm, dem gebürtigen Rheinländer, eine neue Herzklappe ein. Ja, das Herz, darüber kann er viel diskutieren mit Günter Netzer und Franz Beckenbauer, die sich 2016 Bypass-Operationen unterziehen mussten und sich in der Reha mehr abstrampeln als zu aktiven Zeiten.
Vogts denkt leicht verbittert an die Zeit zurück, als er – zwei Jahre nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996 – als Bundestrainer hinwarf, weil der Gegenwind für ihn, den in Deutschland irgendwie ewigen Unterschätzten auf der Trainerbank, immer schärfer wurde. Weil in Deutschland das WM-Viertelfinale, in dem er zweimal scheiterte, eben nicht genug ist. Dass er in 102 Länderspielen den besten Punktschnitt hatte, bis Jogi Löw kam – egal. Die Herzen flogen ihm nur als Spieler zu. Dabei führte er auf seiner einzigen Bundesligastation als Trainer 2000/ 01 bei Bayer Leverkusen alles ein, was heute selbstverständlich ist: einen Psychologen, einen Fitnesstrainer, dazu Spezialtrainer für Abwehr und Sturm. „Was bin ich da attackiert worden“, sagt er, immer noch leicht beleidigt, „und dann qualifizierten wir uns für die Champions League.“
Traumziel USA
Vogts ist dennoch mit sich im Reinen. Als Spieler der legendären Gladbacher Fohlenelf (1965 – 79), als Weltmeister von 1974, hat er vergleichsweise wenig verdient. Dafür umso mehr als Nationaltrainer in Kuwait, Nigeria, Schottland, Aserbaidschan, zuletzt als Berater seines mittlerweile entlassenen Lieblingsschülers Jürgen Klinsmann in den USA. „Ich will weiter ein tolles Leben haben“, sagt er, „aber wenn mich morgen der da oben ruft, muss ich bereit sein und für einen anderen Platz machen.“
Dennoch würde er, den sie früher Terrier nannten, weil er unter anderen im WM-Finale 1974 mit hautnaher Deckung den holländischen und in diesem Jahr verstorbenen Weltstar Johan Cruyff ausschaltete, gerne als Berater in der Bundesliga oder auch als Clubtrainer in den USA weitermachen. Noch lässt ihn der Fußball, der das Leben des allzu frühen Waisenkinds (mit 13) prägte, nicht los.
Gewaltig stört Vogts, dass die Trainer immer mehr im Abseits stehen. „Auch deshalb bin ich aus dem Bund Deutscher Fußballlehrer ausgetreten. Die Trainer werden nicht geschützt. Im Gegensatz zu den Schiedsrichtern, wo gleich alle Oberschiris zusammen laufen, wenn einer kritisiert wird.“
Voll auf der Seite des Leverkusener Trainers Roger Schmidt stand Vogts etwa, als der unlängst vom Platz flog. „Was hat er denn gesagt? Halt doch mal deine Fresse“(zu Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann, die Red.). Vogts rief Oliver Bierhoff, den Manager der Nationalelf an. „Kannste da nicht was machen?“Und regte an: „Vielleicht sollte Joachim Löw, der Bundestrainer, einschreiten.“
70 Jahre alt, aber voller Pläne. So schnell wird Berti Vogts nicht verstummen. Wir brauchen ihn noch.