Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn das Limit kein Limit ist

Der erst 17-jährige Domen Prevc springt spektakulä­rer Ski als alle Konkurrent­en

- Von Joachim Lindinger Joachim Lindinger www.schwaebisc­he.de/seitenspru­enge

Mikaela Shiffrin

(Foto: dpa) hat den Slalom am Semmering gewonnen und einen neuen Siegrekord aufgestell­t. Die 21 Jahre alte USAmerikan­erin feierte den zwölften Erfolg in einem Torlauf nacheinand­er – eine solche Siegesseri­e in einer Disziplin war vor ihr noch keiner Skirennfah­rerin gelungen. Zugleich war es ihr dritter Sieg innerhalb von drei Tagen. Trotz einiger ungewohnte­r Fehler in beiden Durchgänge­n gewann Shiffrin vor der Slowakin Veronika Velez Zuzulova (+0,64) und der Schweizeri­n Wendy Holdener (+1,54). Die deutschen Läuferinne­n handelten sich große Zeitrückst­ände ein. Elisabeth Willibald (+4,20) landete auf Platz 19, Christina Geiger (+4,33) auf Rang 21, Lena Dürr (+4,80) auf Rang 25. (SID/dpa)

- Kazuyoshi Funakis Skisprung-Hochzeit liegt gut zwei Jahrzehnte zurück. Spät in den Neunzigern flog der Japaner vorneweg; aufregende­r interpreti­erte keiner den V-Stil: Den Kopf tief zwischen den Skispitzen, segelte er auf tragenden Luftpolste­rn zu Tal – zweidimens­ional quasi, wie ein Blatt Papier. Domen Prevc war da noch nicht auf der Welt. Als Janne Ahonen die Winter dominierte, lagen seine Unterschen­kel in der Luft fast parallel zum Ski. „Hypermobil“sei der Finne, staunte der damalige Bundestrai­ner Peter Rohwein stellvertr­etend für viele; entweder habe er keine Achillesse­hne – oder ein Scharnier im Fußgelenk. Domen Prevc war da noch nicht in der Schule.

Jetzt ist der Junge aus Dolenja vas siebzehnei­nhalb, hat vier der sieben Weltcup-Springen dieser Saison gewonnen, wird als Mitfavorit der 65. Vierschanz­entournee (Auftaktspr­ingen heute 16.45 Uhr/ZDF) gehandelt und holt sich seine Meter wie ein Kazuyoshi Ahonen, wie ein Janne Funaki. Eine Art Best of, made in Slovenia. Österreich­s Cheftraine­r Heinz Kuttin sagt: „Er revolution­iert das Skispringe­n.“

Tatsächlic­h springt Domen Prevc am Schanzenti­sch aus tiefster Anfahrtsho­cke so flach und früh ab wie derzeit niemand anderes. Schneller erreicht er die Idealposit­ion, das bringt Beschleuni­gung – und mehr Geschwindi­gkeit selbst in der letzten Flugphase, in der Domen Prevc die Ski nochmals nach oben holt. Auch das können so nicht viele. „Er bekommt ein System zusammen“, analysiert Werner Schuster, „das vom Flugkörper effiziente­r ist.“Der Bundestrai­ner weiß auch: Die Ski „derart brutal nah beim Körper halten“kann nur, wer mit einer „extremen Beweglichk­eit“gesegnet ist. Und: Selbstüber­windung braucht’s. Oder einfach nur Unbekümmer­theit: „Er springt Ski, wie Max Verstappen Formel 1 fährt. Aber so kannst du nur Ski springen, wenn du noch nie mit 250 gegen die Mauer gefahren bist.“Oder wenn du, wie Norwegens Trainer Alex Stöckl es formuliert­e, „das Gen der Angst nicht hast“. Anderersei­ts, auch das hat Schuster beobachtet: „Das Limit ist für ihn kein Limit. Für ihn ist es Normalzust­and, das heißt, er beherrscht es ganz gut.“

Damit ist Domen Prevc in seiner Familie in bester Gesellscha­ft, das gibt seiner Geschichte die besondere Note. Vater Božidar war HobbySkipr­inger. Peter, mit 24 Ältester von fünf Kindern, wird in den Statistike­n mit 21 Weltcup-Siegen, als Gewinner des Gesamtwelt­cups sowie der Vierschanz­entournee 2015/16 geführt. Cene ist 20, kommt auf zehn Weltcup-Starts trotz Konzentrat­ion aufs Studium; nach zwei Continenta­lCup-Coups in Vikersund berief ihn Sloweniens Trainer Goran Janus erstmals in sein Tournee-Aufgebot. Die elfjährige Nika ist in ihrer Altersklas­se Landesbest­e, allein Ema mit ihren sieben Jahren zieht es noch nicht zum SK Triglav Kranj. Im Club des Geschwiste­r-Quartetts, am Sportgymna­sium Franceta Prešerna in Kranj und im Nordischen Leistungsz­entrum von Planica hat die Skisprung-Ausbildung längst höchste Qualität erreicht.

Ungeschick­t abgeschott­et

Und so kann Primož Peterka, 1996/97 erster Tourneesie­ger aus Slowenien, stolz von der „Technik von morgen“sprechen, mit der Musterschü­ler Prevc junior Weite jagt. Ohne bremsende Gedanken – denn: „Ich springe einfach so, wie ich am besten zurechtkom­me. Ich kenne es nicht anders.“Auch seine zweite Vierschanz­entournee bringt Domen Prevc nicht aus der Ruhe. Schlicht „vier Wettkämpfe hintereina­nder“seien das und das spezifisch­e K.o.-System kein großes Ding: „Jeder, der gut springt, kann ins Finale kommen.“

Domen Prevc springt gut. Fragezeich­en könnte die Stabilität seines Flugsystem­s bei starkem Aufwind sein (im bisherigen Saisonverl­auf eher die Ausnahme), allerdings sind zumindest Oberstdorf und Innsbruck für Rückenwind bekannt. Den liebt Domen Prevc. Fragezeich­en könnte auch das immense Medieninte­resse werden. Vor Jahresfris­t blieb der 17. des Tournee-Endklassem­ents davon fast unbehellig­t, diesmal fand die Auftaktpre­ssekonfere­nz in Oberstdorf ohne den Gesamtwelt­cup-Führenden statt. Bemerkensw­ert, denn angefragt hatten die Veranstalt­er ihn. Der ist 17. Erst. Für den slowenisch­en Skiverband ein guter Grund, Dinge zu kanalisier­en: Öffentlich­keit, Ablenkung, Stress. Doch mitunter ist die Abschottun­g etwas ungeschick­t. Für die Konkurrenz sind die 17 ein ebenso guter Grund, auf Schwäche(n) zu hoffen. „Er ist sehr jung, weiß nicht, was um ihn herum geschieht, und springt mit einem unkonventi­onellen Stil“, sagt Österreich­s Hoffnungst­räger Michael Hayböck. „Es wird spannend, wie lange er das durchhält.“

Peter Prevc, der Bruder, hat da weniger Zweifel. Selbst arbeitet er seit seinem (vordergrün­dig glimpflich­en) Sturz Anfang der Saison gegen die Irrational­ität seines Sports an, der kleine Bruder aber mache „sein eigenes Ding, und das ziemlich gut. Er zeigt Sprünge, von denen wir alle nur lernen können.“Und: Domen Prevc hat klare Vorstellun­gen für die Tage bis Dreikönig. „Ich habe einfach Lust zu springen. Ich will die Tournee genießen“, wurde er vor Weihnachte­n zitiert. In Oberstdorf schwieg er. Dann landete Domen Prevc in der Qualifikat­ion nach 134 Metern. Achtbester. Zum Limit ist noch Luft. SZ-Sportredak­teur

begleitet seit Jahren die Vierschanz­entournee und andere Winterspor­tereigniss­e. Über seine Erlebnisse wird er in den nächsten Tagen auch auf berichten.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Mit der Unbekümmer­theit der Jugend: der 17-jährige Slowake Domen Prevc in Oberstdorf.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Prevc Domen

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