Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Elektroautos, die Feinde der Tankstellen
Die Stationen hoffen, mit größerer Produktvielfalt den Abschied vom Benzin zu überleben
- Nicht nur in zahllosen USamerikanischen, sondern auch europäischen Filmen sind Tankstellen zentrale Orte. Eine frühe Wegmarke auf dieser Strecke setzte der im September 1930 uraufgeführte Streifen „Die Drei von der Tankstelle“mit Heinz Rühmann. Vordergründig verkaufen die Geschäfte nur Benzin. Doch eigentlich geht es um mehr: Um Unterwegssein, soziale Mobilität und Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Doch nun sind die Tankstellen in Gefahr.
Denn den Stoff, den sie hauptsächlich anbieten, werden künftig immer weniger Leute brauchen – vielleicht benötigt ihn irgendwann kaum noch jemand. Schon diskutiert die Politik darüber, ab wann keine Pkw mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Ab 2030, fordern die Grünen. Das ist wahrscheinlich etwas ehrgeizig – aber das Signal erscheint deutlich. Strom folgt auf Öl. Elektroautos tanken kein Benzin. Wenn die neuen E-Mobile in 20 oder 30 Jahren die Straßen dominieren, könnte auch die Zeit der traditionellen Tankstellen zu Ende gehen.
„Nein“, sagt Manuel Fuchs, der Sprecher des Öl-Unternehmens Total Deutschland, „Tankstellen verschwinden nicht.“Bis 2030 schon gar nicht, denn bis dahin würden konventionelle Treibstoffe weiterhin die meisten Fahrzeuge antreiben. Und auch für die weitere Zukunft sieht Fuchs eine Chance für die Mineralölkonzerne und Tankstellenbetreiber. „Die Geschäftsmodelle werden sich verändern. Die Firmen bieten dann zusätzliche Energieträger, Dienstleistungen und Produkte an.“
Konkurrent Stromnetz
Aber ist das realistisch? Angenommen, in 20 Jahren fährt die Mehrheit der Automobile mit Elektrizität. Dann müssen sich die Tankstellen gegen einen mächtigen Konkurrenten behaupten – das Stromnetz. Steckdosen und Stromladesäulen kann man prinzipiell überall da finden, wo Elektrizitätskabel verlaufen – vor jedem Haus, in jeder Tiefgarage, an den Straßenlaternen, auf den Parkplätzen von Bahnhöfen, Supermärkten, Kinos und Fitnesscentern. Warum soll man noch zur Tankstelle fahren, wenn sich die Autobatterien über Nacht oder beim Warten nebenbei aufladen? Das wäre reine Zeitverschwendung.
Außerdem sind viele traditionelle Tankstellen heute als Stromanbieter schlecht geeignet. Denn sie könnten viel weniger Fahrzeuge mit Elektrizität versorgen als mit Benzin. Der Grund: Einmal traditionell volltanken und bezahlen dauert derzeit vielleicht fünf Minuten. Pro Zapfsäule werden pro Stunde etwa zwölf Fahrzeuge versorgt. Ein elektrischer Ladevorgang braucht dagegen viel länger. Selbst mit leistungsfähigster Technik arbeiten die Ladesäulen der US-Firma Tesla eine halbe Stunde, um Saft für 200 Kilometer zu spendieren. Im Vergleich zu zwölf werden pro Stunde so nur zwei Fahrzeuge bedient. Wollte eine Tankstelle den entsprechenden Umsatzverlust ausgleichen, müsste sie eine wesentlich höhere Zahl von elektrischen Ladeals derzeit Zapfsäulen aufstellen. Dafür allerdings ist an vielen Tankstellen kein Platz. Dies betrifft vor allem Standorte in dicht besiedelten Gebieten, wo die Grundstücke klein und die Bodenpreise hoch sind.
Dass Tankstellen, die von Benzin auf Strom umrüsten, grundsätzlich einen strukturellen Nachteil haben müssen, bezweifelt allerdings Axel Thielmann vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Der Physiker erklärt, dass die Technik sowohl der Ladesäulen als auch der Autobatterien schnell fortentwickelt werde. „Man kann davon ausgehen, dass Elektrofahrzeuge in einigen Jahren ähnlich schnell zu laden sind, wie heute ein Tankvorgang dauert.“
„Wir gehen optimistisch an die Zukunft heran“, sagt auch Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands der Freien Tankstellen (BFT). Er glaubt beispielsweise nicht, dass reine Elektrofahrzeuge schnell zum Rückgrat des Individualverkehrs werden. „Für die benötigten gigantischen Strommengen sind die Netze vorläufig gar nicht ausgelegt.“Außerdem werde es auch nicht nur eine Art neuer Antriebe geben. „Denken Sie an die HybridTechnologie“, so Ziegert. Dabei kombiniert man in den Fahrzeugen Eund Benzin-Motoren. Die brauchen zwar weniger Benzin, aber sie brauchen welches.
Nahversorger und Begegnungsstätte
In diese Richtung argumentiert Total-Sprecher Fuchs ebenfalls. Von den rund 1200 Tankstellen, die der aus Frankreich stammende Konzern in Deutschland betreibt, sind bisher zwölf zu Stationen neuen Typs umgebaut worden. Dort gibt es nun nicht nur Benzin und Diesel, sondern auch die anderen Treibstoffe: Autogas, Erdgas und Wasserstoff, außerdem Ladesäulen für BatterieFahrzeuge. Diversifizierung ist das Stichwort, nicht nur bei den Treibstoffen. Heute schon erwirtschaften viele Tankstellen erhebliche Ertragsanteile mit Getränken, Lebensmitteln und Dienstleistungen rund ums Auto. Ein wichtiges Angebot stellen Waschanlagen dar.
Diese Strategien nehmen in Zukunft wohl zu. Sie sollen für zusätzliche Attraktivität sorgen, um die Tankstelle als Geschäftsmodell zu bewahren. Vielleicht spricht auch dies für sie: In ländlichen Gebieten übernehmen manche der Firmen eine neue soziale Funktion. Nachdem das letzte normale Geschäft zugemacht hat, sind sie oft einziger Nahversorger und öffentliche Begegnungsstätte zugleich.
Aber auch solcher Wandel ist teuer. Teilweise erfordert er hohe Investitionen. Gerade für kleine, umsatzschwache Tankstellen rechnen sich diese oft nicht. Einige der derzeit gut 14 000 Standorte mit knapp 100 000 Arbeitsplätzen in Deutschland werden die Wende zu alternativen Antrieben wohl nicht überleben.