Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Maß und Ziel durch die Nacht des Jahres
Während Sie diese Zeilen lesen, knallt es womöglich schon draußen auf Ihrer Straße, weil sich die Gören aus der Nachbarschaft nicht an die staatlich regulierten Feuerwerkskörperabschusszeiten halten. Sie selbst bereiten sich womöglich in stiller Freude auf die Silvesternacht vor. Wahrscheinlich steht neben der Zeitung, die sie ja unbestreitbar gerade lesen, ein Tasse Kaffee. Aber das wird sich im Laufe des Tages ändern. Andere Getränke kommen auf Sie zu. Vielleicht ein Gläschen Glühwein. Womöglich Bier. Eventuell sogar Bowle, bevor es Punkt Zwölf dann traditionell Sekt sein wird. Und weil Sie ein Mensch mit Vernunft und Augenmaß sind, werden Sie den Weg zwischen dem Ort der Feierlichkeiten und ihrem Bett vermutlich aufrecht und ohne Wanken zurücklegen.
Aber natürlich gibt es auch eine andere Silvesterwelt jenseits des gepflegten und maßvollen Feierns. Orte, an denen sich hochprozentige Abgründe auftun, in denen Menschen versinken, die ohne Maß und Ziel trinken. (Dass sich das reimt, ist Zufall.) Es wird zu Grenzerfahrungen kommen, die Fragen aufwerfen. Etwa: „Wie viel kann ein einzelner Mensch vertragen?“Im Guinnessbuch der Rekorde steht dazu nichts drin, denn es widerspräche den Statuten, eine Disziplin wie Wett- oder Vieltrinken aufzunehmen. Unter dem Stichwort Alkohol finden sich dafür jede Menge andere Einträge. Etwa jener von Oliver Strümpfel, der den Rekord auf dem Gebiet des Maßkrügetragens über eine Distanz von 40 Metern hält. Der gute Mann legte die Strecke mit 25 vollen Biergläsern zurück. Kein Wunder, werden jetzt die Schlauberger sagen, schließlich hatte er ja genug zu trinken dabei. Aber das ist natürlich grober Unfug, weil es ein wichtiger Bestandteil dieser aufregenden Sportart ist, nichts zu verschütten – weder auf den Boden noch die eigene Kehle hinab.
Und weil wir gerade beim Bier sind: Das größte Bierglas hat ein gewisser Ed Dupuy aus Halifax aufgestellt und befüllt. Das Ding war zwar aus Plastik, aber das hat die Jury nicht gestört. Schließlich maß das Gefäß 2,23 Meter in der Höhe und fasste 2082 Liter. Aus erfrischungstechnischer Sicht war es freilich eine Dummheit, im Sommer – es war der 6. Juli 2014 – kühles Bier unter brütender Sonne in ein kolossales Plastikglas zu schütten. Denn das Bier ist während der offiziellen Rekord-Beglaubigungsprozedur gewiss warm und lack geworden. Das mag auch der Grund sein, weshalb der Rekord bis heute hält, weil es halt auch ewig schade um das schöne Bier ist.
Aber zurück zur Frage, was der Mensch, dessen Leber angeblich mit seinen Aufgaben wächst, alkoholmäßig vertragen kann. Die Nachrichtenarchive dokumentieren einen Fall aus dem Jahr 2004. Am 20. Dezember begab sich in dem polnischen Dörflein Skierniewice ein 45-jähriger Mann von einer Adventsfeierlichkeit auf den Heimweg. Unterwegs kollidierte er mit einem Auto. Im Krankenhaus stellten die staunenden Ärzte einen Promillewert von 12,3 im Blute des Mannes fest. Zum Vergleich: Ein Promillebereich von 4 bis 4,5 gilt gemeinhin als tödlich.
Ob das Testgerät defekt war, sich die polnische Nachrichtenagentur PAP einen vorweihnachtlichen Scherz erlaubte – man weiß es nicht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang bloß eines: Versuchen Sie an Silvester besser nicht, den inoffiziellen Rekord des Skierniewicers zu brechen. Lauschen sie lieber den Böllern, nehmen Sie noch einen Schluck aus der Kaffeetasse und kommen Sie, wenn es soweit ist, unbeschadet vom Ort des Feierns ins Bett. Weitere „Aufgegabelt“-Folgen und Gastro-Kritiken unter