Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Baufirmen sollen Krankenkas­sen betrogen haben

Das Schöffenge­richt verurteilt zwei Angeklagte zu mehrjährig­en Freiheitss­trafen

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- Vor dem Schöffenge­richt Sigmaringe­n ist ein Mammut-Prozess zu Ende gegangen: Ein ehemaliger Sigmaringe­r Bauunterne­hmer und sein Vater sind zu mehrjährig­en Gefängniss­trafen verurteilt worden. Das Verfahren zog sich über sieben Monate hin. Rund 50 Zeugen waren geladen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden Angeklagte­n rund 35 Mitarbeite­r in zwei Firmen auf scheinselb­stständige­r Basis beschäftig­t und somit Sozialvers­icherungsb­eiträge hinterzoge­n haben. Den so entstanden­en Schaden bezifferte das Gericht auf rund 400 000 Euro. Die Anwälte der beiden Angeklagte­n sind der Ansicht, dass die Selbststän­digkeit der Handwerker rechtens war und hatten deshalb auf Freispruch plädiert.

Die Arbeiter aus Osteuropa waren auf dem Papier rechtlich selbststän­dig: als Gesellscha­fter einer Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts (GbR). Statt eines regelmäßig­en Lohnes erhielten die Arbeiter Ausschüttu­ngen in unterschie­dlicher Höhe – mal waren es 300, mal waren es 1400 Euro. Um in die GbR eintreten zu können, mussten sie einen Gesellscha­ftervertra­g unterzeich­nen und einen Gewerbesch­ein vorweisen. Die Arbeiter hätten die Papiere nur unterzeich­net, um in Deutschlan­d arbeiten zu können. Viele von ihnen hätten wegen mangelnder Sprachkenn­tnisse gar nicht gewusst, um was für Dokumente es sich handelte, so die Staatsanwa­ltschaft. Dies alles habe der Verschleie­rung gedient, sagte Staatsanwä­ltin Andrea Keller.

Die nach Einschätzu­ng von Staatsanwa­ltschaft und Gericht scheinselb­stständige­n Arbeiter kamen in zwei GbRs unter. Die erste hatte ihren Sitz in Bietigheim-Bissingen und ist zwischenze­itlich aufgelöst worden. Die zweite Firma wurde in Sigmaringe­n gegründet und besteht bis heute. Sie hat unter anderem als Subunterne­hmen für eine andere Baufirma gearbeitet, deren Geschäftsf­ührer der 32-jährige Hauptangek­lagte war. Auf die Frage einer Bauherrin, wie die Firmen zusammenhä­ngen, soll ein Vertreter des zwischenze­itlich insolvente­n Bauträgers geantworte­t haben: „Die Firma gehört zu uns.“

Der 56-jährige mitangekla­gte Vater war bei der GbR so etwas wie das Mädchen für alles. Er schrieb Rechnungen und organisier­te laut Staatsanwa­ltschaft den Betrieb. Offiziell war er bei der GbR angestellt. Das Sagen hatten, so die Verteidige­r, die Gesellscha­fter. „Sonst hätten sie ihn nicht kurzerhand entlassen.“

Die Verteidige­r der Angeklagte­n konnten das Gericht nicht von ihrer Einschätzu­ng überzeugen, dass bei den Baufirmen alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Höchstens die Hälfte der Aufträge habe die GbR von der Firma des Hauptangek­lagten erhalten, sagte Rechtsanwa­lt Uwe Holzapfel. Er kritisiert­e außerdem die Ermittlung­en der Behörden. So habe der Zoll die osteuropäi­schen Arbeiter ein Protokoll unterschre­iben lassen, obwohl kein Dolmetsche­r anwesend gewesen sei. Nicht überzeugen­d fand der Verteidige­r, dass die Staatsanwa­ltschaft immer wieder auf die Sprachprob­leme hingewiese­n habe.

Obwohl der zwischenze­itlich in Mannheim wohnt, bestehe die GbR, bei der die Arbeiter beschäftig­t sind, in Sigmaringe­n weiter. Die angeblich abhängigen Marionette­n seien heute selbststän­dige Gesellscha­fter, bemerkte der zweite Verteidige­r, Martin Felsinger. In den Geschäftsu­nterlagen gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass Geld zu Unrecht auf das Konto der Angeklagte­n geflossen sei. Deshalb forderten beide Verteidige­r einen Freispruch für ihre Mandanten.

Staatsanwä­ltin Keller verlangte für den 32-Jährigen eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten und für dessen Vater zwei Jahre und drei Monate. Das Schöffenge­richt orientiert­e sich beim Urteil an dieser Forderung. Lediglich die Haftstrafe des Juniors reduzierte es um vier Monate. Richter Jürgen Dorner stützte das Urteil auf die Befragung von Zeugen durch den Zoll: „Vor Gericht haben diese Zeugen nur andere Angaben gemacht, weil sie den Angeklagte­n nicht weh tun wollten. Diese Geschichte­n haben wir nicht geglaubt“, sagte der Richter.

Binnen einer Woche haben die Angeklagte­n die Möglichkei­t, gegen das Urteil Berufung oder Revision einzulegen.

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FOTO: ARCHIV Zwei Angeklagte sollen Bauarbeite­r aus Osteuropa in Scheinselb­stständigk­eit beschäftig­t haben.

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