Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Briten-Band fürs Herz
Elbow verarbeiten in „Little Fictions“Schocks in schönen Songs
(dpa) - Wer die Oxford-Band Radiohead zu kopflastig findet und die Londoner Coldplay zu bombastisch, der hat im britischen StadionPop seit Langem eine verlässliche Alternative: Elbow. Zumal diese 1990 gegründete Rockgruppe aus der nordenglischen Industriestadt Manchester im Vergleich zum nervösen Thom Yorke und zum glamourösen Chris Martin den freundlichsten Frontmann besitzt: Guy Garvey ist Kopf, Herz und Seele einer Band, die nicht nur mit feiner Musik, sondern auch mit viel unverkrampfter Herzenswärme für sich einnimmt.
Elbows siebtes Studioalbum ist nun ihr bisher vollendetstes Werk. Und in Sachen purer, fast schon naiver Schönheit wohl nicht mehr zu toppen. „Little Fictions“kommt zwar in einem grenzwertigen KnallbuntAlbumcover daher, ist aber ansonsten ganz und gar nicht kitschig. Es war ja schon seit dem Debüt „Asleep in The Back“(2001) ein Geheimnis dieser Band, wie sie es hinbekommt, weltumarmende Melodien und gefühlvolle Texte zu schreiben, ohne die Schwelle zum hohlen Pathos zu überschreiten. Auch die neuen Lieder schaffen diese Gratwanderung traumwandlerisch sicher.
Schon der Opener „Magnificent (She Says)“zeigt die Band von ihrer eindrucksvollsten Seite. Ein markanter Basslauf von Pete Turner, das Gitarrenriff von Mark Potter, etwas Keyboard-Geklingel von Craig Potter – damit steht das Gerüst einer typischen Elbow-Hymne. Garveys oft mit Peter Gabriel verglichene Stimme – eine der charismatischsten im britischen Pop – und das erlesene Streicher-Arrangement krönen eine ihrer besten Balladen.
Mit den rhythmisch komplexen Midtempo-Liedern „Gentle Storm“und „Trust The Sun“beweist die Band anschließend, dass sie auch Groove und Soul beherrscht. Dabei war diesmal weder Euphorie noch Lässigkeit – beherrschende Elemente der Auftaktsongs von „Little Fictions“– für Elbow selbstverständlich. Zwar hatte man mit „The Take Off And Landing of Everything“im März 2014 endlich Platz eins der britischen Albumcharts erreicht. Doch es knirschte im Gefüge des seit gut zwei Jahrzehnten aufeinander eingeschworenen Quintetts. Schlagzeuger Richard Jupp ging irgendwann von Bord.
Für manche Fans, die Elbow als unverbrüchliche Gemeinschaft von fünf nordenglischen Saufkumpanen sahen, war das ein Schock. Und auch die Rest-Band musste erst einmal damit klarkommen, als sie Anfang Januar 2016 an die Arbeit für eine neue Platte ging. Dann starb mit David Bowie auch noch ein großer ElbowHeld, und der Brexit betrübte die überzeugten Europäer. Es war also gar nicht so einfach für „Little Fictions“, wieder nach vorn zu blicken.
„Um ehrlich zu sein: Dieses FünfBrüder-Ding, und dass wir nun schon Ewigkeiten als Band unterwegs waren, das hat uns wohl etwas zu lang zusammengehalten“, sagt Garvey nüchtern in einem Interview.. Letztlich sei der Verlust des Schlagzeugers für die restlichen vier Elbow-Männer Ansporn gewesen, selbst mehr für den Rhythmus zu tun. „Es ist also nicht so, dass wir unsere Groove-Maschine verloren hätten. Es war eher eine willkommene Herausforderung.“
Mit Chor und Orchester
Daher profitiert das Album nun von einer Vielzahl an raffinierten DrumSounds, wie man sie bei dieser zu Melancholie und einer gewissen Trägheit neigenden Band noch nicht gehört hat, etwa im monumentalen „K2“und im gut achtminütigen Titelsong. Doch auch die von Elbow gewohnte orchestrale Grandezza kommt nicht zu kurz. Chor und Orchester aus Manchester unterstützen den ohnehin schon kraftstrotzenden Gesang von Guy Garvey, dem man frisches Lebensglück anhören kann.
Denn sein erstes Solo-Album „Courting The Squall“war 2015 völlig zu Recht ein großer Erfolg bei Kritikern wie auch Fans. Und: Seit Juni ist der 42-Jährige mit der Schauspielerin Rachel Stirling verheiratet. „Wenn sie etwas über sich selbst in meinen Texten hört, fühlt sie sich natürlich geschmeichelt“, sagt Garvey. Und es klingt so sympathisch-bescheiden wie immer bei diesem tollen Sänger und Songschreiber.