Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Das ewige Leben und der sichere Tod
Martin Scorseses „Silence“handelt von Religiösität in dieser Welt
Der neue Film von Martin Scorsese („Taxi Driver“, „Godfellas“) erzählt von katholischen Priestern, einem Großinquisitor und der Christenverfolgung in Japan.
Es beginnt in Lissabon: einer Stadt wie ein einziger weißer Marmorquader, in gleißendem Sonnenlicht. Hier werden um das Jahr 1640 die letzten Juden vertrieben und regelmäßig Scheiterhaufen aufgerichtet zum sogenannten Autodafé, bei dem zum Sonntagsvergnügen für die Massen Hexen verbrannt werden.
Martin Scorseses „Silence“ist voller solcher Szenen. Ein Film über Religiosität, aber in dieser Welt. Das Lissabon der Gegenreformation wird zum Ausgangspunkt einer Reise, die Sebastião Rodrigues und Francisco Garupe, zwei junge idealistische Jesuiten, bis ans andere Ende der Welt führt. „Spiderman“-Star Andrew Garfield und Adam Driver verkörpern die zwei Missionare, die freiwillig nach Japan kommen, wo eine Welle von Christenverfolgungen eingesetzt hat.
Inquisition in West und Ost
Zwischendurch machen sie Station in den portugiesischen Kolonien: In Macao haben die allerchristlichsten Kolonialherren den Buddhismus verboten und dessen Tempel zerstört. Dann kommen sie nach Japan. Ziel ihrer Reise ist, Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) zu finden, ihren Mentor, der angeblich auf Druck der Obrigkeiten seinem Glauben abgeschworen hat.
Wer einst „Shogun“gesehen hat, der kennt den Plot: Portugiesische Jesuiten, die seit dem späten 16. Jahrhundert an der japanischen Küste wenige Missionsstationen unterhielten und die Bauern tauften, erlebten ein paar Jahrzehnte später unter dem Tokugawa-Shogunat heftige Verfolgungen.
Dort erweist sich Rodrigues als der optimistischere der beiden, Garupe hingegen ist nervenschwach und wird von seiner Angst nie ganz verlassen. Sie ist auch nur zu berechtigt: Denn in Gestalt des kaiserlichen Beamten Inoue (Issei Ogata) begegnet den beiden etwas, was sie aus ihrer Heimat kennen: die Inquisition. Nur dass sie hier auf der anderen Seite, nämlich der der Verfolgten stehen.
Zuerst trifft die Verfolgung die christianisierten Bauern. Der Inquisitor stellt die Priester auf die Probe: Sie können die Bauern retten, wenn sie Gott verleugnen – ein öffentlich gedemütigter Priester ist mehr wert als hingemetzelte Namenlose. Was würde Jesus tun?
Der Großinquisitor der Japaner und der Übersetzer bei den Verhören sind die Stars von Scorseses Film. Denn Scorsese schildert seine Hauptfiguren auch als ignorant und naiv. Die Jesuiten liegen gern in der Sonne, aber sie interessieren sich kein bisschen für das Land, in dem sie Jünger finden wollen. Scorsese erzählt hier auch von einem Zusammenprall der Kulturen, von der Verachtung der Japaner für die ungebildeten Fremden, für die die Welt nur aus Katholiken oder heidnischen Wilden besteht: „Wir können eure Sprache besser als ihr selbst“, spottet der Dolmetscher. Ein andermal: „Nur ein dummer Christ kann Buddha für einen normalen Menschen halten. Sie sind ein Ignorant, Pater!“
Die menschlichste – weil charakterlich schwächste – Figur ist Kichijiro (Yôsuke Kubozuka), der einheimische Helfer der Padres. Er verbindet Verrat und Unschuld. Um seine Haut zu retten, verleugnet er die Europäer und ihren Glauben, doch immer wieder bittet er Rodrigues um Vergebung – ein Lacher in einem ernsten Film. „Warum wurde ich gerade jetzt geboren?“, jammert er. „Das ist so unfair!“
„Silence“ist die Adaption einer Novelle des Japaners Shusaku Endo von 1966. Scorsese, der einst Priester werden wollte, hat sie bereits 1989 gelesen und seitdem verfilmen wollen. Oberflächlich betrachtet ist „Silence“ein religiöser Film. Dieser Befund deckt sich auch mit der Wahrnehmung des Gesamtwerks von Martin Scorsese: In Filmen wie „Die letzte Versuchung Christi“oder „Kundun“, aber auch in seinen Mafia-Epen oder in „Bringing out the Dead“hat der New Yorker mit Wurzeln im katholisch-italoamerikanischen Einwanderermilieu sich mit der Funktion und dem Wesen von Glauben und Spiritualität befasst.
Niemand sollte sich aber vom religiösen Subtext abschrecken lassen. „Silence“ist auch ein spannender – und stellenweise harter HistorienPsycho-Thriller. „Silence“ist von bezwingender Schönheit und funktioniert auf vielen Ebenen.
Der Film zeigt, dass Glaube eine träge Angelegenheit ist. Die Energie des Zweifels dagegen befeuert die Menschen, auch die Priester.
Scorseses Film ist eine spannende Erkundung, was es heißt, an die Gnade Gottes zu glauben – und damit auch ein Spiegel unserer Zeiten. Silence. Regie: Martin Scorsese. Mit Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson. USA 2016, 159 Min., FSK ab 12.