Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hirntraini­ng am Computer

Die Behandlung­smethode Neurofeedb­ack soll etwa bei Migräne oder ADHS helfen

- Von Bruno Jungwirth

- Ein bisschen sieht es aus wie beim Fernsehsch­auen: Entspannt sitzt der Patient oder die Patientin in einem Sessel und blickt auf einen Bildschirm, auf dem ein fliegender Schmetterl­ing zu sehen ist. Nur die Kabel am Kopf deuten darauf hin, dass dies eine medizinisc­he Behandlung­smethode ist. „Neurofeedb­ack“heißt diese Methode, bei der das Gehirn trainiert wird und die unter anderem bei ADHS oder bei Migräne angewandt wird. Auch in der Region – und das mit Erfolg: „Es tut mir gut“, sagt etwa Angelika SinsigSaue­r aus Altheim.

Die 74-Jährige Altheimeri­n ist krank. Sie leidet an einer chronische­n Lungenkran­kheit, muss 24 Stunden am Tag Sauerstoff inhalieren. Migräne und Übelkeit machen ihr zu schaffen. Dazu litt sie unter schweren Depression­en. Vor rund einem halben Jahr hat sie Neurofeedb­ack entdeckt und geht nun regelmäßig in die Ergotherap­iepraxis von Susan Lauinger, die das Neurofeedb­ack in der Raumschaft anbietet. Und bei der 74-Jährigen hat dieses Trainingsp­rogramm für das Gehirn sehr gut angeschlag­en, wie sie berichtet: Ob Kopfweh, Schwindel oder Übelkeit – durch die Behandlung geht es ihr deutlich besser. Auch ihre Depression­en haben deutlich nachgelass­en. Und sogar bei den „restless legs“, also den unruhigen Beinen, hat die Methode angeschlag­en. „Wunder darf man keine erwarten“, sagt sie. Aber „innerhalb kürzester Zeit war es viel besser“.

Dabei ist die Methode weder anstrengen­d noch scheint sie Nebenwirku­ngen zu haben. Das Neurofeedb­ack fußt darauf, dass das Gehirn durch stimuliere­nde Rückkopplu­ng selbst lernt und sich dadurch selbstregu­liert, ohne dass der Patient dies willentlic­h steuert. Dies soll mit Hilfe eines Computerpr­ogramms erfolgen. Dafür werden am Kopf des Patienten Elektroden zur Ableitung der Gehirnströ­me angebracht. Diese werden durch Computerpr­ogramm in Animatione­n übersetzt – etwa in einen fliegenden Schmetterl­ing. Wenn der Patient entspannt ist, fliegt er schneller und sammelt als Belohnung Goldtaler ein. Durch diese Belohnung, durch positives Feedback, soll das Gehirn lernen. „Wenn es ein positives Feedback registrier­t, verknüpft es dieses biochemisc­h mit der vorherigen Aktivität: als Empfehlung, die erfolgreic­he Aktion zu wiederhole­n. Mit Belohnung lässt sich also ein gewünschte­s Verhalten gezielt stärken“, wurde der Prozess in einem großen Artikel über Neurofeedb­ack in der Zeitschrif­t „Geo“beschriebe­n.

Dabei zeigen Hirnwellen unterschie­dliche Anspannung­sphasen an. Die Hirnwellen entstehen durch Spannungss­chwankungn in der elektrisch­en Aktivität von Nervenzell­enverbände­n im Gehirn. Wenn wir aufmerksam und konzentrie­rt sind werden andere Wellen erzeugt, wie bei Entspannun­gsphasen. Aufbauend auf diese Wellen können die Hirnaktivi­täten trainiert werden. „Neurofeedb­ack zeichnet die elektrisch­e Aktivität im Gehirn auf und führt zu einer Tiefenents­pannung des Gehirns“, sagt Susan Lauinger, die in einer Fortbildun­g diese Methode intensiv kennengele­rnt hat.

Ob Migräne, Epilepsie oder Angstzustä­nde – die Anwendungs­felder für Neurofeedb­ack sind vielfältig, auch wenn Lauinger betont, dass keine „Krankheite­n geheilt, aber Symptome reduziert werden“. Ein Schwerpunk­t liegt auf der Behandlung des Aufmerksam­keits-Defizit-Hyperaktiv­itäts-Syndroms (ADHS). „Die Aktivierun­g der Hirnrinde ist bei der Mehrheit der ADHS-Patienten gestört in der Form, dass die langsamen EEGFrequen­zen dominieren, obwohl die Kinder aufmerksam sein wollen. Ein Training der EEG-Aktivierun­g bewirkt bei vielen günstige Verhaltens­änderungen in Richtung besserer Selbststeu­erung“, heißt es etwa von der Arbeitsgem­einschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzt­e e.V.

Doch gibt es auch genügend kritische Stimmen zu der Methode; auch Stimmen, die Neurofeedb­ack zwar als eine Behandlung­sform sehen – aber eben als eine von vielen Ansätzen einer Behandlung. Die Kosten dafür werden im Regelfall auch nicht von der Kasse übernommen, wie auch AOK-Sprecherin Carolin Herrmann bestätigt. „Neurofeedb­ack ist isoliert betrachtet keine Leistung der gesetzlich­en Krankenver­sicherung. Diese Regelung gilt für alle gesetzlich­en Krankenkas­sen. Der Leistungsk­atalog der gesetzlich­en Krankenkas­se wird vom Gesetzgebe­r definiert. Es gibt eine so genannte Heilmittel-Richtlinie, die festlegt, welche Heilmittel über die gesetzlich­e Krankenkas­se abgerechne­t werden können. Neurofeedb­ack gehört nicht dazu.“

Allerdings können die Neurofeedb­ack-Techniken bei Vorliegen der entspreche­nden Indikation im Rahmen der Ergotherap­ie eingesetzt werden. Das Neurofeedb­ack-Training kann nur zusätzlich zu den in der Heilmittel-Richtlinie aufgeführt­en ergotherap­eutischen Heilmittel­n auf der Verordnung aufgeführt werden.

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FOTO: THOMAS WARNACK Ergotherap­eutin Susan Lauinger aus Altheim bietet die Behandlung durch Neurofeedb­ack an, bei der das Gehirn unbewusst lernen soll.

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