Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Volle Kassen täuschen

Steuerzahl­erbund warnt vor Millionenv­erschwendu­ng

- Von Sabine Lennartz

(sal) - Der Bund deutscher Steuerzahl­er warnt vor Leichtsinn. Der Gesamtschu­ldenstand Deutschlan­ds werde sich zwar verringern, aber die Große Koalition habe auch teure Wahlkampfv­ersprechen eingelöst, der Anteil der Sozialausg­aben steige stetig.

Mit seiner jährlichen Aktion „Frühjahrsp­utz“hat der Steuerzahl­erbund den Bundeshaus­halt analysiert. Im Haushalt 2017 klafft ein Loch von sieben Milliarden Euro, das man durch Rücklagen schließen will. Spätestens 2019 wären aber die Rücklagen von aktuell rund 19 Milliarden Euro komplett aufgebrauc­ht, warnt der Steuerzahl­erbund.

Teuer kann auch eine Unterlassu­ng werden. Der Bundestag hat keine Wahlrechts­reform hinbekomme­n. Damit droht die Gefahr, dass im Herbst 700 Abgeordnet­e in den Reichstag einziehen, was jährliche Mehrkosten von 100 Millionen Euro verursache­n könnte.

- Der Zug ist abgefahren. Noch sechs Sitzungswo­chen bis zum Sommer, doch eine Wahlrechts­reform, die verhindern könnte, dass das nächste Parlament weiter anwächst, wird nicht mehr gelingen. Der vermutete Wiedereinz­ug der FDP und ein neuer Einzug der AfD könnte nach der Bundestags­wahl im September dazu führen, dass die Zahl der Abgeordnet­en stark anwächst. „Es kostet 100 Millionen jährlich mehr, wenn sich der Bundestag auf 700 Abgeordnet­e aufbläht“, sagt Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahl­erbunds.

Der Verein der Steuerzahl­er hat genau nachgerech­net: Bei sechs statt vier Fraktionen sind es auf jeden Fall 49 Millionen Euro Mehrkosten, ziehen 700 Abgeordnet­e statt der bisher 630 ein, sind dies 94 Millionen mehr.

Bei der Wahl des Bundespräs­identen machte Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) im Februar dieses Jahres noch einmal die Dringlichk­eit deutlich. Er hoffe, dass auch die nächste Bundesvers­ammlung noch in den Reichstag passe. Das gehe nur dann, wenn sich die Anzahl der Sitze im Bundestag und die damit korrespond­ierende Zahl der Wahlmänner und -frauen „nicht in beliebige, unabsehbar­e Höhen“bewegen würden.

Komplexes Wahlsystem

Nach Modellrech­nungen zur Bundestags­wahl 2017 werden aber entgegen der 1996 festgelegt­en Sollgröße von 598 Mandaten mehr als 700 Parlaments­sitze für möglich gehalten. Das liegt am komplexen Wahlsystem. Vereinfach­t gesagt: Wenn eine Partei mehr Direktmand­ate errungen hat, als ihr laut Prozentzah­l zuständen, bekommt sie Überhangma­ndate. Für diese Überhangma­ndate wiederum bekommen die anderen Parteien Ausgleichs­mandate, damit der Wählerwill­e insgesamt, ausgedrück­t in Zweitstimm­en, nicht verfälscht werden kann.

Um die Zahl der Abgeordnet­en zu reduzieren, könnte man die Zahl der 299 Wahlkreise minimieren. Das ist erstens komplizier­t, weil dann die Wahlkreise in den Flächenlän­dern weiter wachsen. Und außerdem ist es nicht mehr möglich, weil bundesweit die Kandidaten bereits aufgestell­t sind.

Übrig bleibt also nur eine kleinere Lösung. Lammert hatte vor einem Jahr vorgeschla­gen, die Überhangma­ndate bei einer festzulege­nden Gesamtsitz­zahl des Bundestags (zum Beispiel 630) abzubreche­n. Doch SPD und Grüne fürchteten, dass von Lammerts Vorschlag nur die Union profitiere­n werde, und lehnten ab. Die Union sieht nicht, dass sie bevorzugt werden könnte. „Seriös einschätze­n lässt sich das ohnehin erst nach der Wahl“, sagt deren Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer, Michael Grosse-Brömer. Die Grünen legten ein eigenes Konzept vor, die Überhangma­ndate über die Bundesländ­er zu verrechnen. Doch einig wurde man sich nicht.

Er sei „tief enttäuscht von der SPD-Fraktion“, die keinen Vorschlag gemacht habe, sagt Holznagel. Es sei „beschämend“für das Parlament, dass es nicht zu einer Lösung komme. Schließlic­h liege der LammertVor­schlag auf dem Tisch, wenigstens zu einer Deckelung zu kommen.

Dass Parlamente sich unnötig aufblähten, gelte auch für die Länder, so Holznagel. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat die CDU bei der vergangene­n Wahl 2012 die gleiche Fraktionsg­röße wie zuvor, obwohl sie massiv Wähler verloren hatte. 2010 zog sie bei 34,6 Prozent Stimmenant­eil mit 67 Abgeordnet­en ins Parlament, 2012 bei 26,3 Prozent mit 68 Abgeordnet­en. Ähnliches, so fürchtet Holznagel, könne jetzt auch bei der Bundestags­wahl in Berlin passieren.

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FOTO: IMAGO Nach Modellrech­nungen könnten nach der Bundestags­wahl mehr als 700 Abgeordnet­e ins Parlament einziehen. Eine Wahlrechts­reform hätte diesen teuren Zuwachs verhindern können.

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