Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gefahr im Anflug
Immer mehr Tropenmücken machen sich in Deutschland breit – Experten beobachten die Entwicklung mit Sorge
- Als der Rettungsdienst am Abend in seine Münchner Wohnung kommt, liegt Baris Gelir mit hohem Fieber im Bett. Er friert und schwitzt gleichzeitig, zittert, ist kaum noch ansprechbar. Die Sanitäter schließen auf eine Grippe. Sie empfehlen Gelirs’ Freundin, beim Bereitschaftsarzt Antibiotika zu holen und fahren wieder von dannen. Hätte seine Freundin auf den Rettungsdienst gehört, wäre der 32-Jährige heute tot.
Erst am nächsten Morgen stellt ein Arzt im Klinikum Schwabing die nahe liegende Diagnose: Gelir, der vor wenigen Wochen geschäftlich in Westafrika war, hat Malaria. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 30 Prozent seiner roten Blutkörperchen von den Erregern befallen. „Der Arzt hatte meiner Freundin schon gesagt, sie soll meine Eltern anrufen, falls sie mich noch ein letztes Mal sehen wollen“, erzählt Gelir im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Doch entgegen der Erwartungen der Ärzte schlagen die Medikamente an, Gelir überlebt.
Gut behandelbar
Schwere Verläufe der Malariaerkrankung wie bei Baris Gelir sind in Deutschland selten. Denn wird Malaria rechtzeitig erkannt, ist sie mit Medikamenten gut behandelbar. 2015 gab es laut Robert-Koch-Institut in Deutschland 1068 Malaria-Fälle, darunter zwei Tote. Alle Infizierten hatten sich – genauso wie Gelir – im Ausland angesteckt, überwiegend in Ländern Afrikas und Asiens. Dort übertragen Mücken die Krankheit. Auch in Deutschland war Malaria bis ins 19. Jahrhundert noch weitverbreitet. „Seit den 1950er-Jahren gilt die Krankheit bei uns allerdings als ausgerottet“, sagt Mückenexperte Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. Es gebe zwar noch einige einheimische Mückenarten der Gattung Anopheles, die Malaria theoretisch übertragen könnten, doch die einheimischen Erreger existieren nicht mehr. „Die tropischen Erreger hingegen können sich in den einheimischen Anopheles-Arten nicht gut entwickeln“, so Kampen.
Viel mehr Sorgen bereiten Experten exotische Mückenarten, die sich in Deutschland ansiedeln. Denn die Stiche der ungebetenen Gäste sind nicht nur lästig, sondern könnten im schlimmsten Fall gefährliche, tropische Krankheiten übertragen. Auf der anderen Seite der Alpen, in Norditalien, ist genau das bereits geschehen. Im Sommer 2007 erkrankten dort fast 200 Menschen an Chikungunya-Fieber, ein Mensch starb sogar an der tropischen Infektionskrankheit.
Mediziner gingen auf Spurensuche und konnten den Verlauf der Epidemie sehr genau rekonstruieren. Ein Mann aus Indien besuchte Verwandte in Italien, wo er plötzlich Fieber bekam. Wie sich später rausfinden ließ, trug der Inder das Chikungunya-Virus in sich, einen in Italien eigentlich fremden Erreger. Eine Asiatische Tigermücke, eine in Italien eigentlich nicht heimische, aber angesiedelte Mücke, stach ihn, nahm das tropische Virus auf und trug es weiter.
„Wegen der günstigen klimatischen Bedingungen ist die Asiatische Tigermücke in Italien bereits zu einer ausgewachsenen Plage geworden“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. In den vergangenen Jahren ist die Tigermücke auch nach Deutschland vorgedrungen. „Aedes albopictus“– so der lateinische Name – kann mehr als 20 Viren übertragen, darunter Dengue-, West-Nil- oder eben ChikungunyaViren. Erst kürzlich konnten Forscher des Bernhard-Nocht-Instituts nachweisen, dass auch in Deutschland angesiedelte Exemplare der Tigermücke in der Lage sind, das in Brasilien grassierende Zika-Virus zu übertragen. Ein weiterer ungebetener Gast: Die Japanische Buschmücke. Die ursprünglich in Japan, Korea und Südchina beheimatete Stechmücke gilt als Überträger des West-NilVirus.
Nach Europa gekommen sind die tropischen Mücken mit dem Gebrauchtreifenhandel. „Asien ist auf diesem Gebiet ein großer Exporteur“, sagt Mückenexperte Kampen. Die alten Reifen werden hierzulande vor allem für den Straßenbau verwendet, zum Beispiel um Flüsterbeton herzustellen. Bevor sie verschifft werden, lagern sie allerdings oft wochenlang im Freien, sodass sich bei Regen Wasser in ihnen sammelt. „Die Weibchen legen ihre schwarzen Eier an die feuchte Gummistruktur oberhalb des Wassers“, erklärt der Mückenexperte. So können die kälteresistenten Eier Monate oder sogar Jahre überdauern, bis der Wasserspiegel schließlich steigt, die Eier geflutet werden und die Larven schlüpfen. Genug Zeit also für eine Verschiffung nach Europa. Eine weitere bequeme Reisemöglichkeit für die Tigermücke sind Zierpflanzen aus Asien. Auch dort haben Forscher schon Larven der Asiatischen Tigermücke gefunden.
Mittlerweile ist sie in 29 europäischen Ländern nachgewiesen – auch in Deutschland. Das erste Exemplar fand man 2007 an einem Rastplatz an der A 5 in Bad Bellingen im Landkreis Lörrach. Forscher vermuten, dass Reisende aus Italien die Tigermücken mitbringen. „Die Mücken sind sehr aggressiv und folgen dem Mensch bis ins Auto“, so Kampen.
Um die Verbreitung der Tigermücke und anderer Mückenarten im Blick zu behalten, hat Helge Kampen gemeinsam mit Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) das Projekt „Mückenatlas“ins Leben gerufen. Egal ob aus dem heimischen Schlafzimmer oder der Regentonne: Allein im vergangenen Jahr schickten Bürger über 40 000 Mücken an die Forscher. „Mittlerweile sind auch zahlreiche Exemplare von invasiven – also nicht heimischen – Stechmücken dabei“, sagt Kampen. In Heidelberg und Freiburg konnten bereits größere Populationen und sogar die Überwinterung der Tigermücke nachgewiesen werden.
Infizierte Reiserückkehrer
„Gefährliche Erreger wurden bisher aber in keiner der Mücken gefunden“, sagt Kampen. Derzeit sei die Gefahr einer Epidemie wie in Italien gering. Doch mit dem zunehmenden Massentourismus in exotische Länder wachse auch die Zahl infizierter Reiserückkehrer, also potenzieller Infektionsquellen. Noch 2013 registrierte das Robert-Koch-Institut nur 16 Fälle von Chikungunya-Fieber in Deutschland, 2015 waren es bereits 110. Mehr als 700 Menschen kamen 2015 mit Dengue-Fieber zurück nach Deutschland. Wird ein infizierter Reiserückkehrer dann hier von einer Tigermücke gestochen, kann sie das Virus aufnehmen und weitergeben. Doch solange nur die Mücken vorhanden sind, aber nicht die Erreger, schreibt das Infektionsschutzgesetz keine Bekämpfung vor.
Allerdings können nicht nur tropische Mücken für den Menschen gefährlich werden. Das afrikanische Usutu-Virus etwa, das 2011 zu einem Massensterben von Amseln und anderen Vögeln führte, kann von heimischen Exemplaren übertragen werden. Bestimmte Unterarten der gemeinen deutschen Hausmücke sind außerdem in der Lage, das West-NilVirus zu übertragen. Von einem Menschen, der sich in Deutschland infizierte, ist bisher nichts bekannt.
Fieber, Gliederschmerzen, Erbrechen: Viele Tropenkrankheiten lassen sich leicht mit harmloseren Krankheiten verwechseln. „Wichtig ist, dass behandelnde Ärzte in solchen Fällen immer nach der Reisetätigkeit ihrer Patienten fragen und sie im Zweifel an Spezialisten überweisen“, sagt Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut. Doch was, wenn es keine Auslandsaufenthalte in der Vergangenheit gibt?
Unerklärliche Fieberschübe
Duisburg, Sommer 1997: Ein vierjähriges Kind wird im Krankenhaus wegen einer Nierenbeckenentzündung behandelt. Kaum als geheilt entlassen, kommt es mit hohem Fieber in die Klinik zurück. Der behandelnde Arzt vermutet eine Blutvergiftung. Doch wie sich durch Zufall herausstellt, ist das Kind an Malaria tropica erkrankt, der gefährlichsten Variante der Tropenkrankheit. Und das obwohl das Kind nie in Afrika oder Asien gewesen ist.
Kurze Zeit später treten bei einem weiteren Patienten unerklärliche Fieberschübe auf. Auch hier lautet die Diagnose: Malaria tropica. Einige Zimmer weiter liegt ein Mädchen aus Angola, das die Malariaparasiten im Blut mit nach Deutschland gebracht hat. Weil es heiß ist, schläft das Mädchen bei offenem Fenster. Offenbar hat eine heimische Anopheles-Mücke das Mädchen gestochen und die anderen beiden Patienten infiziert.
„So etwas kommt vor, ist aber die absolute Ausnahme“, sagt Mückenexperte Kampen über die Ereignisse in Duisburg. Im Fall von Baris Gelir hätte die Diagnose eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten dürfen. Schließlich wies der Münchner die behandelnden Ärzte sogar mehrmals auf seine vergangene Afrikareise hin, wie er erzählt. Trotzdem wurde keine Malaria-Erkrankung diagnostiziert. Ein fataler Fehler, der Gelir fast das Leben gekostet hätte. Der junge Mann hat nun einen Rechtsanwalt eingeschaltet und verlangt Schmerzensgeld von seinem Arzt. Mittlerweile ist der Münchner wieder fit, die nächste Afrikareise soll allerdings noch bis 2018 warten.