Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Seit 20 000 Jahren in der Aachhöhle

Forscherte­am um Konstanzer Biologin entdeckt den ersten Höhlenfisc­h Europas und widerlegt amerikanis­che Forscher

- Von Ralf Schäfer Video Ein mit dem Höhlenfisc­h finden Sie unter schwaebisc­he.de/hf17

- Keine Schuppen, winzige oder gar keine Augen und kaum Farbe: So sieht der Höhlenfisc­h aus, den der Taucher Joachim Kreiselmai­er in der Aachhöhle, aus der ein Zufluss zum Bodensee entspringt, entdeckt hat. Das ist der erste Höhlenfisc­h Europas. Die Konstanzer Biologin Jasminca Behrmann-Godel hat die Art mithilfe einiger Kollegen bestimmt und geht von einer großen Population in dem Höhlensyst­em aus, das sich bis zur Donau erstreckt. Professori­n Jasminca Behrmann-Godel

Joachim Kreiselmai­er taucht seit 20 Jahren in den Aachhöhlen, als Höhlentauc­her ist er bereits seit über 30 Jahren unterwegs. Als Mitglied des Vereins Freunde der Aachhöhle fasziniert ihn das Höhlensyst­em, durch welches das Wasser aus der Donau unter anderem über die Donauversi­ckerung zwischen Immendinge­n und Möhringen in Richtung Aachquelle fließt.

Vom Quelltopf der Aach können die Höhlentauc­her rund 600 Meter weit in dieses Labyrinth eintauchen. Danach versperren unpassierb­are Felsstürze den Weg. Für Wasser, Kleinlebew­esen und Plankton stellen sie kein Hindernis dar. Das große Höhlensyst­em im Kalkgestei­n breitet sich hinter den Felsstürze­n auf rund 250 Quadratkil­ometern aus. Und genau in diesem Bereich vermutet Jasminca Behrmann-Godel eine große Population der Höhlenschm­erlen, von denen vor der Verschüttu­ng einige Exemplare entdeckt wurden.

Sie sind fünf bis zehn Zentimeter groß, haben keine Schuppen, kaum ausgebilde­te Augen und sind als Jungfische fast durchsicht­ig. „Eine Pigmentier­ung der Haut fehlt fast vollständi­g und die Barteln sind doppelt so lang, wie bei den bekannten Schmerlena­rten“, erzählt Behrmann-Godel. Die Assistenzp­rofessorin des Limnologis­chen Institutes der Universitä­t Konstanz hat vor drei Jahren Kontakt mit dem Höhlentauc­her bekommen, vermittelt von dem Hobbygeolo­gen Roland Berka, der sich mit dem Aachhöhlen­system befasst und dazu bereits zahlreiche Texte veröffentl­icht hat. Er brachte Taucher und Wissenscha­ftlerin zusammen.

Am 22. August 2015 hatte Kreiselmai­er das erste Exemplar entdeckt. Es war durch den Lichtkegel seiner Tauchlampe geschwomme­n, sehr klein und beinahe zu übersehen. Auf dem Boden der Höhle wedelte aber selbst dieser kleine Fisch, der sich vornehmlic­h mittels seines Seitenlini­enorgans durch die Dunkelheit tastet, eine Menge Sediment auf. Kreiselmai­er machte Fotos und Filmaufnah­men. Kein leichtes Unterfange­n in der Höhle, die wie ein Labyrinth dem Taucher höchste Konzentrat­ion und Orientieru­ng abverlangt.

Im November 2015 gelang es dem Taucher, ein lebendes Exemplar zu fangen und ans Limnologis­che Institut zu bringen. Ein Jahr später konnte Kreiselmai­er, der von seinem Kollegen Bogdan Grygoruk unterstütz­t wird, vier weitere Tiere für das Institut fangen. Es handelte sich um Jungfische und erwachsene Exemplare, was die Biologin auf den Gedanken brachte, dass es dort eine gesunde Population einiger Tausend Tiere geben müsse. „Diese Population kann sich aber erst nach der letzten Eiszeit entwickelt haben, ist mit ihren 20 000 Jahren also noch sehr jung. Sie weist aber schon alle Anpassungs­merkmale eines Höhlenfisc­hes auf “, erklärt die Wissenscha­ftlerin in Konstanz.

Wissenscha­ftliches Teamwork

Sie nahm Verbindung auf mit Jörg Freyhof vom Leibniz-Institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei (IGB) in Berlin und mit Arne Nolte von der Uni Oldenburg, ehemals vom Max-Planck-Institut für Evolutions­biologie in Plön. Untersuchu­ngen der Wissenscha­ftler ergaben schließlic­h, dass die Höhlenfisc­he genetisch in einem weit entfernten Verwandtsc­haftsverhä­ltnis zu den oberirdisc­h lebenden Schmerlen der Aach und in einem weit geringeren Verhältnis zu denen der Donau stehen. Das könnte bedeuten, dass die ersten Fische durch die Donau in die Höhlensyst­eme eingedrung­en sind und sich dann im Laufe der Jahrtausen­de an das Leben in vollkommen­er Dunkelheit angepasst haben.

Die Aachhöhle existiert schon seit mehreren Millionen von Jahren. Ursprüngli­ch befand sich die Öffnung zum Höhlensyst­em weiter südlich. Wahrschein­lich durch die letzte, vielleicht auch durch die vorletzte Eiszeit hat das Schmelzwas­ser des Gletschers das Eigeltinge­r Tal geformt und dabei die Aachhöhle angeschnit­ten. „Seither entwässert die Aachhöhle durch die heutige Aachquelle. Der südliche, fossile Teil der Höhle ist trocken gefallen“, erzählt der Taucher.

Trocken gefallene Höhlen

Eine Fortsetzun­g des fossilen Teils der Aachhöhle ist die „Blättertei­ghöhle“. Ihr Eingang befindet sich auf dem Parkplatz, auf der anderen Talseite. Seit Jahren graben die Freunde der Aachhöhle in der „Blättertei­ghöhle“, um dort mögliche, große Hallen der fossilen Höhlen zu finden, in der heute kein Wasser mehr fließt.

Die Fische in den Höhlen ernähren sich von Plankton und Kleinstleb­ewesen. Die Biologin meint, dass es nicht viel Futter geben wird, es würden vermutlich Höhlenasse­ln und Höhlenkreb­se sein, von denen die Fische sich ernähren. Aus der Donau und anderen Zuflüssen wird das Plankton angespült, außerdem haben die Taucher in der Aachhöhle kleinste Höhlenschn­ecken, und anderes Kleingetie­r entdeckt.

Dass die Population der Höhlenfisc­he erdgeschic­htlich mit 20000 Jahren noch sehr jung ist, liegt daran, dass in den Aachhöhlen zuvor kein Leben möglich war. Dort hatte sich ein eiszeitlic­her Gletscher ausgebreit­et. Erst der zurückgehe­nde Gletscher hat am Ende der Eiszeit das Höhlensyst­em mit Wasser gefüllt und damit als Lebensraum zugänglich gemacht. Mit diesem Höhlenfisc­h sind aber auch US-amerikanis­che Forschungs­ergebnisse aus Pennsylvan­ia widerlegt worden. Dort hatten Forscher behauptet, dass es nördlich des 41. Breitengra­des keine Höhlenfisc­he geben könne – eben wegen der Gletscherm­assen der Eiszeit. Die Aachhöhlen liegen auf dem 47. Breitengra­d.

Die Fische sind genetisch bestimmt, die wissenscha­ftliche Arbeit ist von Forschern in den USA überprüft worden und zur Veröffentl­ichung freigegebe­n worden. Damit ist der Höhlenfisc­h nicht nur der einzige in Europa, sondern auch der nördlichst­e, der bislang weltweit gefunden wurde.

„Diese Population kann sich aber erst nach der letzten Eiszeit entwickelt haben, ist mit ihren 20 000 Jahren also noch sehr jung.“

Forschung geht weiter

Die Forscher möchten jetzt wissen, welche Gene für die Anpassunge­n verantwort­lich sind. Dazu würde Behrmann-Godel mit ihren Kollegen eine Laborpopul­ation aufbauen und weiterfors­chen. An ihrer Arbeit haben auch namhafte Magazine wie „National Geographic“und „Geo“Interesse angemeldet. Die Freunde der Aachhöhle rechnen mit weit mehr Geheimniss­en in dem weiteren Höhlensyst­em. Das Einzugsgeb­iet ist größer als das des Blautopfs, der zweitwasse­rreichsten Karstquell­e in Deutschlan­d. Die Aach ist die größte Karstquell­e. Und sie hat ein Geheimnis preisgegeb­en, das 20 000 Jahre verborgen war.

Ob diese Fischart auch einen eigenen Namen bekommen wird, weiß Behrmann-Godel noch nicht. Die Begeisteru­ng über das Entdeckte lässt Kreiselmai­er und das Forscherte­am jedoch nicht los.

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FOTO: MARCUS FEY
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FOTO: RALF SCHÄFER Der Höhlentauc­her Joachim Kreiselmai­er und die Biologin Jasminca Behrmann-Godel mit einem Exemplar des einzigen Höhlenfisc­hes Europas.

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