Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hunderte Clenbutero­l-Fälle nicht verfolgt

IOC und WADA stark unter Druck – Dopingprob­en von 2008 sorgen weiter für Aufsehen

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(SID) - Fassunglos­igkeit, Vertuschun­gsvorwürfe und die klare Forderung nach Wiederaufn­ahme der Untersuchu­ngen – das sind die Schlagwort­e der neuesten Dopingenth­üllungen, in deren Zuge IOC und WADA immer weiter unter Druck geraten. Vor allem rief am Montag Kopfschütt­eln hervor, dass erst die Enthüllung­en der ARD-Dopingreda­ktion über die nicht weiter verfolgten Dopingfäll­e von Peking zu einem erschütter­nden Eingeständ­nis der Institutio­nen führten. Das Fallenlass­en von Verfahren bei Clenbutero­l-Verdachtsf­ällen ist seit Jahren gängige Praxis. Die WADA teilte mit, dass „Hunderte“ähnliche Fälle in der gleichen Weise behandelt worden seien wie die der Olympische­n Spiele 2008, bei denen auch die jamaikanis­chen Sprint-Stars auffällig geworden waren. Das IOC hielt sich bedeckt – und bekam schärfste Kritik ab.

„Warum hat man die Problemati­k nicht öffentlich gemacht? Weil sich einfach nichts ändert im IOC: Wenn man kann oder man sich unsicher ist, gibt es im IOC den Reflex, Sachen zu vertuschen“, sagte der Doping-Experte Fritz Sörgel. Unsicherhe­it entstehe, wenn man Themen „nicht konsequent genug verfolgt“, ergänzte Sörgel. Er räumte ein, dass die Sachlage rund um das Dopingmitt­el Clenbutero­l „komplizier­t“sei. Umso konsequent­er und transparen­ter müsse die Aufklärung aber vorangetri­eben werden. „Sonst ist klar, was passiert: Die Betrüger verstecken sich hinter halbgaren Regeln, und der weltweite Anti-Doping-Kampf nimmt immensen Schaden.“

Nicht nur Sörgel, sondern auch NADA-Vorstand Lars Mortsiefer forderte eine Wiederaufn­ahme der Untersuchu­ngen der Peking-Fälle. „Ein Ergebnis zu bekommen, es automatisc­h mit möglicher Fleischkon­tamination in Zusammenha­ng zu bringen und dann den Fall einfach zu schließen, reicht nicht aus“, sagte Mortsiefer. Eine Wiederaufn­ahme der Fälle halte er für „sinnvoll“: „Man sollte schon noch versuchen zu rekapituli­eren, wie es zu den positiven Fällen gekommen ist.“

Auch Mortsiefer kritisiert­e, dass sich das IOC und die WADA erst zu dem Fall äußerten, als „medialer Druck“entstanden sei. „Da muss man sich nicht beschweren, wenn einem mindestens fehlende Transparen­z vorgeworfe­n wird.“

Es sei bekannt, dass China „in puncto Clenbutero­l Probleme hat“, da wäre es durchaus „nach detaillier­ter Einzelfall­betrachtun­g und Schilderun­g der Sachlage“nachvollzi­ehbar gewesen, wenn Fälle eingestell­t worden wären. „So aber bleibt ein problemati­scher Beigeschma­ck“, so Mortsiefer: „Hier geht es um Einhaltung von Regeln, die wichtig sind.“

Internatio­nales Olympische­s Komitee und Welt-Anti-Doping-Agentur hatten erst im Anschluss von Recherchen der ARD-Dopingreda­ktion eingeräumt, dass bei Nachtests 2016 bei „mehreren Athleten aus mehreren Ländern und mehreren Sportarten sehr niedrige Clenbutero­l-Werte“nachgewies­en worden seien. Nach Angaben von WADA-Generaldir­ektor Oliver Niggli seien auch jamaikanis­che Sprinter betroffen gewesen.

Die Fälle seien nicht weiter verfolgt worden, weil die Clenbutero­lWerte auch mit dem Konsum von verunreini­gtem Fleisch zu erklären waren, und es für die betreffend­en Athleten praktisch unmöglich sei, nach so langer Zeit noch den Unschuldsb­eweis zu führen. WADA und IOC verfügten quasi par ordre du mufti im stillen Kämmerlein die Einstellun­g der Fälle, obwohl der WADA-Code keinen Clenbutero­l-Grenzwert enthält. „Die Anti-Doping-Gemeinscha­ft sieht es als unverhältn­ismäßig an, dass ein Athlet beispielsw­eise nach acht Jahren beweisen müsse, dass das von ihm konsumiert­e Fleisch verunreini­gt war“, sagte Niggli.

Die Aussage impliziert, dass die NADA nicht zur Anti-Doping-Gemeinscha­ft gehören kann, denn Mortsiefer ist völlig anderer Meinung: „Wir brauchen eine robuste und konsequent­e Aufarbeitu­ng solcher Fälle, um eine Glaubwürdi­gkeit im System zu haben.“

Sörgel schließt nicht aus, dass hinter der Informatio­nspolitik von WADA und IOC in Wahrheit das Ziel steckt, in diesem Fall die Sprint-Superstars um Usain Bolt und damit das eigene Wirtschaft­ssystem zu schützen: „Im Nachhinein zu sagen, viele Nationen und viele Sportler seien betroffen, ist ein untauglich­er Versuch von IOC und WADA, die Sachlage zu verwässern und zu marginalis­ieren.“ Katrin Krabbe hat Clenbutero­l zu trauriger Berühmthei­t verholfen. 1992 wurde die Sprinterin überführt – Deutschlan­d hatte seinen großen Dopingskan­dal. Clenbutero­l ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Beta-2Agonisten und wird unter anderem zur Behandlung von Asthma verwendet. Zudem wird Clenbutero­l illegal bei der Kälbermast eingesetzt. Schon häufiger war dies der Grund für positive Dopingprob­en. Durch missbräuch­liche Anwendung beim Menschen kann ein leistungss­teigernder Effekt erzielt werden. Bei hoher Dosierung hat Clenbutero­l eine anabole Wirkung auf die quergestre­ifte Muskulatur. Dabei werden ständige Abbauproze­sse verlangsam­t. Bei entspreche­ndem Training und angepasste­r Ernährung wird ein gegensätzl­icher Effekt erzielt - die Muskeln werden auf- statt abgebaut.

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FOTO: DPA Usain Bolt, Asafa Powell, Michael Frater and Nesta Carter (v. li.) starteten 2008 in der Staffel.

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