Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Haariges Handwerk
Als Kürschnerin kreiert Natalie Endres Kleidungsstücke aus Pelz – Ein Handwerk zwischen Tradition und Tierschutz
- Wenn Natalie Endres von ihrem Beruf erzählt, erntet sie oft verständnislose Blicke. Kürschner? Macht der nicht irgendwas mit Fässern? Ach nein, die putzen doch die Kirchenglocken, oder? „Am besten war es, als mal jemand dachte, ich pule die Kerne aus den Kirschen“, erinnert sich die 31-Jährige. Natalie Endres übt ein vergessenes Handwerk aus. Sie fertigt Pelzkleidung an. Mäntel, Krägen, Schals, Capes. Genauso wie schon ihr Vater, ihr Großvater, ihr Urgroßvater und viele Familienmitglieder vor ihnen, die sie längst nicht mehr kennt. Die Familienchronik datiert den Ursprung des Wangener Kürschnerbetriebs auf 1735.
Endres’ Füße stecken in rosamintgrünen Glitzerturnschuhen, auf der Lasche ist der Kopf eines Einhorns eingeprägt. Beim Auftreten blinken die Sohlen wie Diskolichter. „Meine Gute-Laune-Schuhe“, sagt sie, und die rot geschminkten Lippen formen ein Grinsen. Über den Schultern trägt sie eine Jacke zusammengenäht aus Lammfellresten – ihr „Kittel“. Eigentlich wollte Endres nie Kürschnerin werden. „Früher musste ich in den Ferien öfter im Laden helfen, ich fand das immer irgendwie blöd.“Ein paar Jahre und drei Praktika später sieht das ganz anders aus. Sie geht zur Ausbildung nach Hockenheim, danach als Gesellin nach Bern. Sechs Jahre später zieht es Endres wieder zurück in den elterlichen Betrieb, wo sie ihren Meister macht.
Mit der Entscheidung für das Kürschnerhandwerk gehört die junge Frau zu einigen wenigen Exoten in Deutschland. Die bundesweit einzige Berufsschul-Klasse im bayerischen Fürth verzeichnet derzeit gerade einmal neun Auszubildende. Von 18 000 eingetragenen Betrieben bei der Handwerkskammer Ulm, sind heute nur noch acht Kürschner. Im Jahr 2000 waren es noch 18.
Eine Liebeserklärung
Fragt man Natalie Endres danach, ob der Kürschnerberuf bald aussterben wird, antwortet sie mit der ihr eigenen frech-charmanten Art und einem Achselzucken. „Tut das nicht jedes Handwerk irgendwann?“Dem folgt eine Liebeserklärung an ihren Berufsstand. Die Verbindung aus Handarbeit und Kreativität. Die Kundinnen, die glücklich über ihre neuen Pelze streichen. Und allem voran das Material. Der Pelz. Das Haarige, wie Endres zu sagen pflegt.
Prüfend wandern Endres’ Augen hinter der Brille von einem Nerzfell zum anderen. Mit Reißzwecken sind sie an die Wand vor ihr gepinnt. Die dunklen Härchen glänzen in der Vormittagssonne, die durch das Dachgeschossfenster fällt. „Das hier hat einen Grünstich und die Unterwolle ist viel dichter“, murmelt sie, nimmt besagtes Fell ab und sucht einen neuen Platz in der Reihe. Es sind winzige Farbnuancen, aber die machen am Ende den Unterschied. Denn bevor es ans Schneiden oder gar an die Nähmaschine geht, sortiert die Kür- schnermeisterin die Felle, die vom Gerber zu ihr kommen. Nur wenn die einzelnen Teile von Farbe, Struktur und Haarlänge zusammenpassen, kann am Ende ein Kleidungsstück entstehen, das aussieht wie aus einem Guss.
Auch wenn die Pelznähmaschine im Atelier anmutet, als wäre die Zeit stehen geblieben: Der Beruf hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, erzählt Endres. „Mein Großvater hat sich damals nur mit den Pelzen beschäftigt, der saß nie an der Nähmaschine, dafür gab es extra Näherinnen.“Heute fertigen Kürschner auch Schnittmuster an, nähen Pelze und Innenfutter und kümmern sich um das Design.
Und noch etwas ist anders: War der Laden in der Wangener Innenstadt früher noch ein reines Pelzgeschäft, hängen heute auch Daunenjacken, Jeans und Pullover auf den Kleiderstangen. Die lässt Stammkun- din Sonja Walser aus Argenbühl bei ihren Besuchen links liegen. Ihr Weg führt sie schnurstracks nach oben in den ersten Stock, in die Pelzabteilung.
Im Fuchsfell auf ihrer Jacke wechseln sich rote, weiße, schwarze und blaue Partien ab. Das Innenleder schimmert in kräftigem Türkis hervor. Dass der Pelz auf der Jacke einmal die Pfoten eines Fuchses waren, erkennt wohl nur noch ein geschultes Auge. „Das müssen wohl so an die 100 Pfoten gewesen sein“, sagt Endres. 2000 Euro hat Walser sich die Jacke damals kosten lassen. Die beiden Frauen stehen zwischen Pelzkrägen aus Waschbär, Nerzmänteln und Rotfuchswesten. Aus der Glasschale auf dem Tisch in der Mitte quellen Fellarmbänder und plüschige Schlüsselanhänger hervor. „Wusstest du, dass Pelz mittlerweile für viele ein Fetisch ist“, sagt Endres, als sie ihrer Stammkundin einen Lamm- fellmantel über die Schultern legt. „Ach was?“Die beiden lachen.
Ganz so weit ist es bei Sonja Walser noch nicht. Viel eher spricht sie von einer Leidenschaft. Zugegeben eine ziemlich ausgeprägte, für die mittlerweile ein ganzer Kleiderschrank bei ihr zu Hause reserviert ist. „Das ist über die Jahre so eine Art Lebensmittelpunkt für mich geworden“, sagt die Frau mit dem freundlichen Gesicht, die beruflich Lkw im eigenen Landschaftsbaubetrieb fährt. Selbst ihre Stiefeletten ziert ein Fuchskopf. Spaziert sie in ihrer Pelzmontur durch die Stadt, folgen ihr nicht selten die Blicke anderer Passanten. Angefeindet wurde sie wegen ihrer Vorliebe aber noch nie.
Das kann Jörg Funk nicht von sich behaupten. Auf die E-Mails, die Funk immer wieder von Tierschützern bekommt, antworte er heute nicht mehr, sagt er. „Mörder“, schreiben sie, und dass er schuld sei am Leid der Tiere. Er erinnert sich an einen Samstag in den 1990er-Jahren, als Tierschützer in der Nacht die Schlösser von rund 50 Münchner Pelzgeschäften versiegelt hatten. An Ladenöffnung war nicht zu denken.
Jörg Funk ist Kürschnermeister und Geschäftsführer eines Biberacher Modeunternehmens. Während er an seinem Schreibtisch im Industriegebiet sitzt und über seinen Betrieb spricht, fallen Begriffe wie Stückzahlen, vollstufiger Herstellungsbetrieb oder Joint-Venture. 1776 als kleiner Familienbetrieb gestartet, verkauft Funk heute Pelzmode an den Fachhandel in über 20 Ländern. Produziert wird im Ausland, ein eigenes Ladengeschäft besitzt Funk längst nicht mehr.
Heute gehe es dem Betrieb gut, die Produkte seien beliebt, sagt er. In den 1990er-Jahren war das anders. Die Hälfte des Geschäfts sei damals weggebrochen. Tierschützer, aber auch die Berichterstattung in den Medien hätten die Branche in Verruf gebracht – und täten es auch heute noch.
„Tiere wie Kaninchen oder Lamm, die zu Pelz verarbeitet werden, sind Abfallprodukte aus der Fleischindustrie“, sagt Funk. Zudem müssten viele wild lebende Tiere wie Füchse oder Waschbären gejagt werden, um den Bestand zu regulieren. Er selbst habe schon viele Nerzfarmen in Skandinavien, aber auch in China besucht. „Natürlich gibt es da solche und solche, aber im Wesentlichen werden die Tiere dort artgerecht gehalten. Vor allem das Gerücht, dass den Tieren das Fell teilweise bei lebendigem Leib abgezogen wird, stimmt einfach nicht“, so Funk weiter.
Würden sich Funk und Jan Peifer treffen, vermutlich hätten sie viel zu diskutieren. Die Wochenenden verbringt Peifer demonstrierend vor Modegeschäften, die Pelzware verkaufen, oder mit der Kamera ausgestattet auf Nerzfarmen. Seine Bilder zeigen Nerze, die aus traurigen Augen durch Gitterstäbe gucken. Nackte Kadaver, die sich in einem Container häufen. Fünf Nerzfarmen gibt es seinen Recherchen nach noch in Deutschland. Für den Vorsitzenden des Deutschen Tierschutzbüros sind das fünf zu viel.
„Diese Branche lebt vom Leid der Tiere“, sagt Peifer. Argumente wie Nachhaltigkeit von Pelz oder die Regulierung von Überpopulation lässt er nicht gelten. „Es wird immer gesagt, es müssen eh Füchse geschossen werden, weil es zu viele gibt. Das steht in keiner Relation. Die Nachfrage könnte allein damit nie befriedigt werden“, so der Tierschützer. Außerdem prangert er die mangelnde Kennzeichnungspflicht von Pelzbekleidung an.
„Enthält nicht textile Teile tierischen Ursprungs“: Mit diesen Worten muss das Etikett in einem Pelz derzeit nach EU-Recht versehen sein. Ginge es nach Peifer sollten Hersteller auch angeben, um welches Tier es sich handelt, wie es gehalten wurde und aus welchem Land es kommt. Denn vor allem in China würde Pelz unter Missachtung sämtlicher Tierschutzstandards hergestellt, sagt er.
Ökologischer Kreislauf
Endres bezieht ihre Nerze aus Skandinavien. „Das ist ein ökologischer Kreislauf“, sagt die Kürschnerin über die Pelzgewinnung, „die Tiere werden dort mit Fischabfällen gefüttert. Der Kadaver, der neben dem Pelz übrig bleibt, wird zu Katzenfutter verarbeitet, die Knochen zu Tiermehl und das Fett zur Herstellung von Haarkuren verwendet.“Während Tierschützer wie Peifer davon sprechen, dass Verbraucher Pelz zunehmend ablehnen, spricht Endres von einem regelrechten Pelztrend. Auf der Berliner Fashion Week zum Beispiel habe es keinen Stand ohne Pelz gegeben.
Und so landen auch unter Endres’ Nähmaschine viele Pelze, die jahrelang hinter verschlossenen Schranktüren hingen. „Die Frauen wollen diese alten Schätze einfach wieder tragen und wünschen sich eine Umarbeitung“, sagt sie. Auch heute dreht sich eine ältere Dame vor dem Spiegel im Laden und bewundert ihre neue-alte Lammfelljacke. Ein Erbstück von ihrer Mutter, das nun an den Schultern straffer und an den Beinen kürzer sitzt. „Das hier pack ich Ihnen auch noch ein“, sagt Endres, und hält das längliche Stück Lammfell hoch, das sie bei der Umarbeitung abgeschnitten hat. So richtig überzeugt ist die Dame nicht. „Das können Sie auf dem Autositz drapieren oder drunterlegen, wenn Sie mal draußen im Café sitzen.“Also gut. Überzeugt. Denn wenn Endres eines nicht leiden kann, dann ist es ihr Lieblingsmaterial in der Mülltonne.