Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eiszeit nach Noten
Tübinger Professor Conard stellt neues Fragment einer Knochenflöte aus einer Albhöhle vor
(sz) - Menschen haben auch schon vor 40 000 Jahren Musik gemacht. Das ist durch Funde auf der Schwäbischen Alb bekannt. Professor Nicholas Conard vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment der Universität Tübingen, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie, hat gestern ein weiteres Fragment erstmals der Öffentlichkeit präsentiert: Die Knochenflöte aus der Vogelherdhöhle ist 42 Millimeter lang und misst im Durchmesser 9,0 Millimeter. Die archäozoologische Bestimmung ergab, dass es sich um einen Knochen in Gänsegeiergröße handelt, der Mittelteil wurde vor rund 40 000 Jahren zum Instrument umgearbeitet. Zwei Ansätze von Grifflöchern sowie die charakteristische Überarbeitung der Oberfläche zeigen, dass hier eine Flöte vorliegt.
Die Flöte wurde im Jahr 2015 bei Sortierarbeiten der ausgeschlämmten Sedimente entdeckt. Diese Sedimente waren zuvor in Tausende Plastiksäcke verpackt, sie wurden nach und nach geschlämmt und die darin befindlichen Artefakte im Anschluss nach Fundkategorien aussortiert. Die Flöte wird neben den anderen eiszeitlichen Fundstücken aus den Höhlen in der Jubiläumsausstellung „Ursprünge“im Museum der Universität Tübingen (MUT) zu sehen sein (www.unimuseum.de).
In den Höhlen der Schwäbischen Alb wurden bereits einige gesicherte eiszeitliche Flöten aus Vogelknochen und Elfenbein gefunden. Experimentelle Nachbauten haben gezeigt, dass es sich tatsächlich um Flöten handelt, mit denen man musizieren kann.
Vielleicht bald Weltkulturerbe
Die Vogelherdhöhle im Lonetal bei Niederstotzingen ist eine der bedeutendsten archäologischen Fundstellen Deutschlands. Hier wurden schon 1931 die ersten figürlichen Kunstwerke ausgegraben, die heute im Museum der Universität, „Alte Kulturen“, auf Schloss Hohentübingen zu sehen sind. Neugrabungen der Universität Tübingen zwischen 2005 und 2012 lieferten zahlreiche weitere Funde, die Auswertung dauert bis heute an. Vom Vogelherd stammen mit Abstand die meisten figürlichen Kunstwerke und Flötenfragmente, darunter das berühmte Mammut. Im Jahr 2006 gefunden, ist es heute im Archäopark Vogelherd in direkter Nähe zur Fundstelle ausgestellt.
Im Juli entscheidet die Unesco über die Aufnahme von sechs Höhlenfundstellen in den Tälern der Ach und der Lone (Schwäbische Alb) in die Welterbeliste. In vier eiszeitlichen Fundstellen in den dortigen Höhlen wurden die frühesten Belege für figürliche Kunst und Musikinstrumente weltweit gefunden. Unter dem Link ist das Musikstück „Seeberger's Lied“zu hören, das Anna Friederike Potengowski auf einer Knochenflöte nachgespielt hat, erschienen auf dem Album „Edge of Time“(Delphian Records).