Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Feier steigt in Cannstatt
Der VfB Stuttgart ist trotz des 0:1 in Hannover nur rechnerisch noch nicht aufgestiegen
– Schon 60 Minuten vor der Partie wusste der Stadionsprecher in Hannovers Arena, was gefragt war am Muttertag: „You Gotta Fight for Your Right to Party“, legte er auf, und zwar in einer Lautstärke, dass wahrscheinlich nicht nur die Karpfen im benachbarten Maschsee tiefertauchten, sondern möglicherweise auch die Enten im Neckar 700 Kilometer südlich. Der Liedtext von den Beastie Boys aber war durchaus richtig gewählt: Man muss kämpfen, um feiern zu dürfen, so einfach ist das im Fußball, auch in der zweiten Liga. Und das muss sich der VfB Stuttgart nach der verdienten 0:1-Niederlage im Spitzenspiel bei Hannover 96 ankreiden lassen: Dass er zu passiv war, zu wenig getan hat, um den Aufstieg bereits am 33. Spieltag hundertprozentig zu sichern. Dass der Tabellenführer ebenso wie die Hannoveraner dennoch für die Bundesliga planen darf, liegt an Arminia Bielefeld, das als Vorletzter den gemeinsamen Rivalen und bis zu diesem Spieltag Zweiten Eintracht Braunschweig mit 6:0 deklassierte. Stuttgart hat drei Punkte und zehn Tore Vorsprung auf die Braunschweiger, 96 drei Punkte und sechs Tore – das sollte beiden für den direkten Wiederaufstieg reichen.
Wolf findet es irreal
„Das Gefühl gerade ist etwas irreal. Wir sind Erster, Hannover Zweiter. Sie feiern, wir sind etwas enttäuscht. Aber jetzt wollen wir es nächste Woche klarmachen“, sagte VfB-Trainer Hannes Wolf. Kapitän Christian Gentner meinte zu dem 99,9-Prozent-Aufstieg: „Wir wollten eigentlich heute rechnerisch alles klarmachen. Jetzt hoffen wir, dass am letzten Spieltag keine verrückten Dinge passieren.“
Verrückte Dinge, wie sie am Sonntag in Bielefeld passierten – was auch in Hannover lange für die Höhepunkte sorgte. „Tor in Bielefeld“, blinkte es auf der Anzeigentafel, präsentiert per Gongschlag von einer Firma namens Hammer, und jedesmal ging ein Aufschrei durchs Stadion. Die 49 000 Fans im Stadion skandierten dazu: „Bielefeld, Bielefeld.“Nie zuvor dürfte die Arminia so viele Freunde in zwei Stadien gleichzeitig gehabt haben.
Wer nun ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Aufsteigern in spé à la Gijon bei der WM 1982 erwartete, sah sich getäuscht. Dem VfB hätte ein 0:0 zwar für die Rückkehr gereicht, nicht aber Hannover, das am Sonntag in Sandhausen hätte nachlegen müssen. 96 war klar tonangebend, sorgte über Linksverteidiger Albornoz häufig für Gefahr, während der VfB Probleme hatte, den Ball vorne zu halten. Folgerichtig die Führung für 96. Ebenezer Ofori verlor den Ball an Waldemar Anton, der gab ab auf Felix Klaus, der dribbelte los, zehn Meter, zwanzig Meter, dreißig Meter, 40 Meter – bis er dem zögerlichen Timo Baumgartl entwischt war. Aus 20 Metern setzte er den Ball schließlich an den rechten Innenpfosten – eine glänzende Einzelleistung des Ex-Freiburgers (40.). VfB-Torjäger Simon Terodde dagegen sah kaum einen Ball und wurde von Salif Sané und Florian Hübner gut bewacht, auch der angeschlagene und zuletzt so starke Alexandru Maxim kam kaum zum Zug. Man habe nicht auf Halten spielen wollen, sagte Wolf, „aber ich gebe zu: Auch für mich sah es so aus. Es war schwierig zu coachen, weil auch wir nach den Toren gegen Braunschweig nicht alles riskieren wollten.“
Wolf reagierte auf das Zögern seiner Elf, brachte nach 51 Minuten Stürmer Daniel Ginczek für Josip Brekalo sowie Zimmermann für Ofori. Ginczek hatte sogleich die riesige Chance zum 1:1: Nach einem Einwurf ließ er drei Rivalen stehen und stand frei vor Torhüter Philipp Tschauner, der aber parierte (57.). Währenddessen gingen die Bielefeld-Festspiele weiter, mit jedem der sechs Tore auf der Alm wurde es auch in Hannover lauter. Die Heimelf schien das zu beflügeln, mit diversen Kontern hätte das Team von Trainer André Breitenreiter das Spiel entscheiden können, der Ex-Stuttgarter Martin Harnik etwa traf völlig frei nur den linken Pfosten (85.). Das hätte sich eine Minute später rächen können: Terodde lief plötzlich allein aufs Tor, Sané zog die Notbremse und kassierte Rot, doch Maxim schlenzte den fälligen Freistoß aus 17 Metern und perfekter Position knapp vorbei. Ein Remis wäre aber auch nicht verdient gewesen für den VfB, der zuletzt oft in den letzten Minuten getroffen hatte.
Stuttgart hat also nach wie vor die besten Chancen auf den Aufstieg, trotzdem jubelten zunächst nur die Hannoveraner: „Nie mehr zweite Liga“, sangen die 96-Fans. Als auch die Stuttgarter zu ihren zehntausend mitgereisten Anhängern und begannen zur Zeile „Der VfB ist wieder da“zaghaft zu hüpfen. Keine rauschende Aufstiegsfeier, die Manager Jan Schindelmeiser aber angemessen fand. „Ich feiere ungern Spiele, die wir verloren haben. Wir sind auch noch nicht aufgestiegen, erst dann, wenn wir es auch praktisch sind. Entschlossenheit, Mut und Aggressivität in den Zweikämpfen haben gefehlt, unser Ziel war eigentlich, die hervorragende Ausgangslage auszunutzen.“Trotzdem sei „die Gesamtsituation natürlich hervorragend“. Auch Wolf wollte „jetzt nicht auf die Mannschaft einhauen. Sie hat für diese glänzende Ausgangsposition erst gesorgt, und sie wird am Sonntag gegen Würzburg alles klarmachen.“