Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Tod und Verwesung
„Tannhäuser“am Nationaltheater München: Romeo Castelluccis Inszenierung gibt Rätsel auf
- „Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?“. So sinniert Goethes Direktor im „Vorspiel auf dem Theater“. Diese Frage stellte sich wohl auch Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper, und verfiel auf den 56-jährigen Romeo Castellucci, seit Jahrzehnten ein Star der Freien Theaterszene, als Opernregisseur jedoch eher ein Novize. Nun darf er seine Paraphrase über „Tannhäuser“in München zeigen. Sie war zweifellos „neu“. Für die Publikumsmajorität der Premiere aber nicht „gefällig“. Die BuhChöre erreichten höchste Dezibelwerte.
Intention des Regisseurs war wohl: „Tannhäuser zeigt, wir können in dieser Welt nicht leben.“Vielleicht hätte man das besser verstanden, wenn man die Gebrauchsanweisung für die Inszenierung vorher im Programmheft gelesen hätte. Aber wer hat vor der Premiere schon Zeit fürs Studium von pseudointellektuell verquasten 17 Seiten?
Demnach will die Regie beweisen, dass Tannhäuser als Außenseiter in beiden Welten, im Venusberg und auf der Wartburg, zwar gebraucht werde, aber weder in die eine noch in die andere hineinpasse. Die Abgründe in den Gestalten gelte es zu erhellen. Aber Castellucci interessiert sich nicht für die Beziehungen zwischen den Gestalten. Und da er Statisten ohne Zahl mit allerlei Firlefanz beschäftigt, hebt bald ein Rätselraten an.
Wer sich im Vertrauen auf Kirill Petrenko und das brillante Staatsorchester auf das geniale Vorspiel als dramatische Essenz der Oper gefreut hatte, erlebte nach kaum zwei Minuten dessen Degradierung zur Bühnenmusik. Noch während das Pilgerchormotiv erklingt, paradieren barbusige Amazonen mit Pfeil und Bogen über die Bühne.
Augenzeugenberichte über das Eros-Center im Hörselberg liegen nicht vor. Ein Lotterbett ist der Venus nicht vergönnt. Castellucci schichtet deformierte Frauenkörper auf, eine pulsierende rosa Masse, aus der die Hausherrin herauswächst. Offensichtlich zitiert der Regisseur eher die Venus von Willendorf als Botticellis schaumgeborene Aphrodite. Elena Pankratova als Venus hat eine schöne und voluminöse Stimme, aber leider ohne erotisches Timbre. So kann man einen Tannhäuser nicht verführen.
Ein unterkühlter Held
Klaus Florian Vogt wirkt – auch stimmlich – wie ein Jüngling, dem der Onkel zum 16. Geburtstag einen Bordellbesuch dezidiert hat. Eine nähere Beziehung zu der heidnischen Göttin wird nicht einmal angedeutet.
Ähnliche Kühle mutet Castellucci auch der Begegnung des Helden mit Elisabeth zu. Erfreulicherweise kann er nicht verhindern, dass Anja Harteros eine verzaubernde Weiblichkeit ausstrahlt. Intensität und Wohlklang sind gepaart in ihrer Stimme, Herzenswärme blüht auf.
Der „Einzug der Gäste“findet nur im Orchester statt, aber da fulminant. Thüringens Edle schlendern halt so herein, der Landgraf und Gastgeber des Song Contest (Georg Zeppenfeld mit Prachtbass) holt sich einen Hocker und ruht sich samt Gefolge während des Preissingens aus. An der Profilierung der Herren mit tieferer Stimme hat der Regisseur wenig Interesse. Auch Christian Gerhaher (Wolfram) steht meist nur dekorativ herum, singt wunderschön und genießt, dass der Dirigent das „Lied an den Abendstern“zum Adagio-Mysterium macht.
Die Inszenierung des dritten Aktes verblüfft: Auf der Bühne stehen zwei Särge mit den Aufschriften „Anja“und „Klaus“. Nach Gebet und Tod schaut Elisabeth zu, wie ihre Leiche verwest. Und Tannhäuser, der noch nicht entsühnte Heimkehrer, muss seine Aufmerksamkeit für diese Demonstration von Vergänglichkeit teilen mit der Konzentration auf den Dirigenten, mit dem er die Rom-Erzählung eindrucksvoll gestaltet.
Nicht wenige Zuhörer wünschten sich einen dritten Sarg – mit der Aufschrift „Tannhäuser“. Weitere Aufführungen am 28. Mai, 4. und 8. Juni, 9. Juli. Kartentelefon Bayerische Staatsoper (089) 21 85 19 20,