Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Ihr seid nicht mehr anders als wir“
Ute Rinderknecht Sigmaringen spricht über die Ehe für alle – Lesbenstammtisch gegründet
- Am Freitagmorgen gegen 9.30 Uhr stand es fest: Der Bundestag hat die Ehe für alle beschlossen. Somit verfügen verheiratete homosexuelle Paare über die gleichen Rechte und Pflichten wie heterosexuelle. Ute Rinderknecht, 39, aus Sigmaringen hat im Radio von der Gesetzesänderung erfahren. Sie ist in einer Beziehung mit einer Frau und hat kürzlich in Sigmaringen einen Lesbenstammtisch gegründet. Im Interview spricht sie mit Redakteurin Anna-Lena Buchmaier über den für sie historischen Moment.
Frau Rinderknecht, wie lange warten Sie schon auf diesen Tag?
Schon immer. Seit meinem ComingOut. Das war mit 18 Jahren. Es war ein emotionaler Moment. Mein erster Gedanke war: „Was schreiben wir diesen Christopher-Street-Day dann auf die Plakate?“Aber es ist ja auch schön, mal nichts fordern zu müssen, sondern einfach nur feiern zu können.
Wo begehen Sie den ChristopherStreet-Day?
Dieses Jahr in Konstanz.
Sie sind in einer festen Beziehung mit einer Frau – werden Sie nun heiraten?
Wir sind erst seit zwei Monaten zusammen.
Haben Sie gedacht, dass die Abgeordneten heute mit „Ja“stimmen?
Ich habe es gehofft, aber es ging ja nun doch sehr schnell. Die Gleichberechtigung für homosexuelle Paare ist in den letzten Jahren Stück für Stück besser geworden, der Protest hörte ja nie auf. Als ich 2002 eine Lebenspartnerschaft eingegangen bin, musste ich noch auf die Ausländerbehörde gehen.
... weil Sie nicht auf dem Standes- amt heiraten durften. Das hat sich mittlerweile geändert.
Genau. Wir mussten zum Landratsamt in Konstanz gehen, in einen kleinen Raum mit Schreibtisch. Man fühlte sich wie einer anderen Klasse zugehörig. Feierlich war das nicht. Aber für uns war das damals unsere Hochzeit. Ich habe das Glück, dass meine Homosexualität in meiner Fa- milie immer akzeptiert wurde. Mittlerweile sind wir aber getrennt.
Was ändert sich noch mit der Ehe für alle?
Dass beide Partner nun ein Kind adoptieren können, ist sicher die größte Errungenschaft. Aber für viele geht es um Anerkennung: Ihr seid nicht mehr anders als wir, es ist ein Zeichen – nicht nur für die, die Eltern werden wollen. Bisher mussten Homosexuelle immer andere Formulare ausfüllen – und wenn man nur einen Führerschein beantragt hat. Überall, wo nach dem Familienstand gefragt wurde, gab es ein separates Kästchen für „eingetragene Lebenspartnerschaft“statt „verheiratet“. Das ist dann auch ein Zwangsouting – nicht jeder geht offen mit dem Thema um. Das fällt jetzt weg, das freut mich tierisch.
Hat es für Sie einen negativen Beigeschmack, dass die Entscheidung für die Ehe für alle auch dem Wahlkampf geschuldet war?
Nein, Hauptsache, es ist beschlossen. Wir waren immer wieder Wahlkampfthema. Es wurde ins Rollen gebracht, der Grund ist egal.
Sie haben im Februar einen Lesbenstammtisch in Sigmaringen gegründet?
Ja, man findet uns auf Facebook, wir sind etwa zehn Frauen. Wir treffen uns einmal im Monat, samstags, zum Austausch. Den Ort verrate ich nur auf Anfrage. Denn leider kriegen wir immer noch viele Anfeindungen und Vergewaltigungsdrohungen.
Tatsächlich?
Ich bekomme für jedes Posting auf Facebook wegen des Stammtischs mindestens einen Kommentar, der dagegen wettert. Aber das ist nicht mein Problem, mich amüsiert das. Auf jeden, der sagt, „Gott möchte das nicht...“folgen 59 Kommentare, die sich für uns einsetzen.
Ist die Ehe für alle Thema bei den Treffen gewesen?
Überhaupt nicht. Wie groß ist die Gay-Community hier im Kreis Sigmaringen? Ich würde sagen, sie ist nicht existent. Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Eine frühere Lesben-Gruppe wurde aufgelöst. Es gibt, glaube ich, noch einen Schwulenstammtisch. Ich habe das Angebot vermisst und irgendwer musste es machen, also hab ich es gemacht. Ich hoffe, dass unser Stammtisch bald größer wird. Wir sind noch ganz am Anfang.