Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Es war eine Trauerfeie­r“

Musikverei­n Hailtingen hat sich Ende Juni nach 93-jährigem Bestehen offiziell aufgelöst

- Von Kerstin Schellhorn

- Es ist eine traurige Premiere im Blasmusikk­reisverban­d Biberach: Mit dem Musikverei­n Hailtingen hat sich der erste Verein des Verbands aufgelöst. Fest stand das bereits im Frühjahr vergangene­n Jahres (die SZ berichtete). Ende Juni fand die offizielle Auflösungs­versammlun­g statt. „Es war eine Trauerfeie­r“, sagt Ortsvorste­her Heinz Schlegel. Nun äußern sich der stellvertr­etende Vorsitzend­e Wolfgang Rettich und das langjährig­e Ausschussm­itglied Reinhold Hummler zu den Gründen.

„Wir haben größte Anstrengun­gen unternomme­n, um da rauszukomm­en“, sagt Hummler, seines Zeichens Trompetens­pieler und seit 33 Jahren Vereinsmit­glied. „Rauszukomm­en“versuchte man aus einer Entwicklun­g, die bereits schon rund sieben Jahre zuvor begonnen hatte. Der Nachwuchs sei immer weniger geworden, die Bereitscha­ft, sich aktiv zu engagieren, mitzuhelfe­n, auch. Außerdem hatte man nicht mehr genügend Musikanten pro Register, um noch eigenständ­ig spielfähig zu sein.

Vor drei Jahren war deshalb schon einmal über eine Auflösung nachgedach­t worden. Doch dann ergab sich die Gelegenhei­t, gemeinsam mit dem Musikverei­n Betzenweil­er zu musizieren – und es ging weiter. Doch das Abstimmung­sergebnis bei der Auflösungs­versammlun­g Ende Juni zeigt, dass sich die Lage nicht gebessert hatte – im Gegenteil. Von den 17 Mitglieder­n stimmten 16 für die Auflösung, eine Person enthielt sich.

Fehler gemacht

Rückblicke­nd sagt Hummler: „Wir wussten nicht so richtig, was wir tun sollen.“Sowohl er als auch der stellvertr­etende Vorsitzend­e Wolfgang Rettich betonen, dass man sicher Fehler gemacht habe. Stichwort Jugendarbe­it: Es gab jugendlich­e Mitglieder im Verein, aber an der Lust am Spielen habe es immer mehr gemangelt. Trotz Vorspielna­chmittagen, trotz Hausbesuch­en, bei denen gefragt wurde, ob die Kinder nicht Lust hätten, in den Verein zu kommen, trotz einer Jugendfibe­l, die im Dorf verteilt wurde und zeigen sollte, dass es nicht nur ums Spielen und Üben geht, sondern auch um Spaß in der Freizeit.

Möglicherw­eise kam genau der zu kurz. Aus eigenen Gesprächen mit den Jugendlich­en berichtet Ortsvorste­her Schlegel, dass sie keine „Leistungsm­usik“hätten machen wollen. Auch Rettich und Hummler räumen ein, dass der Anspruch des Dirigenten sich nicht immer mit dem deckt, was die Musikanten wollen. „Unser Stil war eher Unterhaltu­ngsmusik und nicht so konzertant wie beispielsw­eise in Dürmenting­en“, erklärt Rettich.

Anderersei­ts würden Dirigenten heutzutage aber auch anders geschult, sagt Hummler. Hinzu kommt, dass sich die Notationen der Lieder verändert hätten und anspruchsv­oller geworden seien. „Gerade für ältere Spieler war das schwer.“

Gleichzeit­ig wurde es für den Vorstand immer schwierige­r, Mitglieder zu finden, die etwa an Festtagen Aufgaben übernehmen. Die Hände blieben unten, keiner meldete sich. „Wir mussten da vom Einzelnen auch viel verlangen“, sagt Hummler. Während bei größeren Vereinen solch ein Tag in drei bis vier Schichten eingeteilt werde, gebe es in Hailtingen nur eine einzige.

Gut besuchtes Doppelkonz­ert

Als Bürgermeis­ter Dietmar Holstein, der selbst seit vielen Jahren beim MV Heudorf spielt, im Frühjahr vergangene­n Jahres von der Entscheidu­ng erfuhr, den Verein aufzulösen, sei er recht überrascht gewesen. Das Doppelkonz­ert von Hailtingen und Heudorf im Heudorfer Dorfgemein­schaftshau­s etwa war immer gut besucht worden, auch von Hailtinger Bürgern. Anderersei­ts seien in der Gemeindeju­gendkapell­e H2D 2016 nur zwei Hailtinger Jugendlich­e dabei gewesen, zuletzt war es nur noch einer. „Das ist wirklich schade für so eine traditione­lle Musik“, sagt Holstein. „Das ist tragisch.“

Von Ortsvorste­her Heinz Schlegel sind ähnliche Worte zu hören: „Ohne Musik ist ein Dorf gelähmt, das gehört einfach dazu.“Wolfgang Rettich, der mit 14 Jahren in den Verein eintrat und seit 45 Jahren dabei war, zeigt auf sein Herz und sagt: „An mi gohts do na.“

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FOTO: MV HAILTINGEN Der Musikverei­n Hailtingen zu glückliche­ren Zeiten: Viktor Schill gibt im Bräuhaus seinen Einstand als neuer Dirigent.

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