Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Konta, die Hoffnungsträgerin
Britin steht im Halbfinale von Wimbledon und das Königreich träumt vom Heimsieg
(dpa/SID) - Die verrückten britischen Tennisfans blieben im Dauerregen einfach auf dem Hügel vor dem Center Court im Gras sitzen. Drinnen spielte Johanna Konta um den Einzug in ein historisches Wimbledon-Halbfinale, draußen schützten sich die Menschen unter bunten Schirmen, Plastikumhängen und wärmenden Decken vor dem Hundewetter und starrten auf die Videoleinwand. Als um kurz vor sieben am Dienstagabend feststand, dass Konta als erste Britin seit Virginia Wade vor 39 Jahren beim Heim-Grand-Slam unter den besten Vier steht und Donnerstag die fünfmalige Wimbledonsiegerin Venus Williams herausfordert, flogen Regenschirme in die Luft, und es wurden weitere Plastikbecher mit Champagner oder kohlensäurearmem Bier geordert.
Und nach dem sensationellen Viertelfinal-Aus von Titelverteidiger Andy Murray gegen den Amerikaner Sam Querrey ruhen nun sogar die britischen Hoffnungen allein auf der 26Jährigen aus Eastbourne.
„Kont stop me now!“, schrieb das Boulevardblatt „The Sun“am Mittwoch in Anlehnung an ein Musikstück der britischen Pop-Legende Queen. Mit 6:7 (2:7), 7:6 (7:5), 6:4 hatte die 26 Jahre alte Konta die an Nummer 2 gesetzte Simona Halep niedergerungen. Dass sie der Rumänin damit auch den Sprung auf Platz eins der Weltrangliste vermieste und in der für Außenstehende bizarr anmutenden Branchen-Arithmetik die Tschechin Karolina Pliskova nun Angelique Kerber als Spitzenreiterin im Damen-Tennis ablöst, war in den britischen Blättern am Tag danach noch nicht einmal eine Randnotiz.
Was Andy Murray vor vier Jahren mit seinem ersten Titel auf dem Grün des All England Clubs gelang, scheint seine weitaus weniger prominente Kollegin jetzt auch zu schaffen: die Fans auf der Insel mitzureißen. Sie nährt nicht nur die Hoffnungen auf den ersten britschen Damen-Titel seit Wades Triumph vor 40 Jahren.
„Ich bin überrascht, dass es so lange gedauert hat. Es ist schön, die letzte Siegerin gewesen zu sein, aber es wäre noch schöner, ganz viele britische Siegerinnen zu haben“, sagte Wade, die in der Royal Box mitfieberte. Konta jedenfalls stillt in diesen Sommertagen auch die Sehnsucht der Briten nach ein bisschen Tennis-Drama: Sie gewinnt (fast) nie einfach mal so in zwei Sätzen. Dabei war sie bislang bei ihren fünf Wimbledon-Teilnahmen viermal in Runde eins gescheitert.
In diesem Jahr setzte sich Konta in der zweiten Runde gegen die Kroatin Donna Vekic 7:6 (7:4), 4:6, 10:8 durch. Auch im Achtelfinale ließ sie ihre Fans drei Sätze lang leiden, und das Duell mit Halep geriet ohnehin zum Nervenspiel. „Johanna behält auch in kniffligen Situationen eine Ruhe, die mich wirklich beeindruckt“, sagte Murray jüngst. Die Tochter eines Hoteliers und einer Zahnärztin arbeitet seit Längerem mit einem Mentaltrainer zusammen. In Sydney geboren, lebte sie bis zum Alter von 14 Jahren mit ihren aus Ungarn stammenden Eltern in Australien. 2012 erhielt sie die britische Staatsbürgerschaft und lebt jetzt in Eastbourne an der Südküste und ist nicht nur die Höffnungsträgerin der Briten, sondern auch eines ganz besonderen Tennisfans: „Großartig zu sehen, dass Johanna Konta in Wimbledon im Halbfinale steht, erste britische Frau seit 39 Jahren. Ich habe es noch nicht einmal zu einem Grand Slam geschafft!“, twitterte RollingStones-Frontmann Mick Jagger zu einem Bild von sich in deutlich jüngeren Jahren in weißem Tennis-Outfit und mit Holzschläger in der Hand.