Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Lebensversicherer dürfen Gewinne behalten
Gericht weist Klage von Verbraucherschützern ab – Hoffnung auf hohe Auszahlungen sinkt
(dpa/sz) - Die Lebensversicherung gilt noch immer als liebstes Vorsorgemodell der Deutschen. 89 Millionen Verträge gibt es derzeit, mehr als die Bundesrepublik Einwohner hat. Noch bis vor ein paar Jahren galt die Lebensversicherung als gute Vorsorgeanlage: profitabel, sicher und unproblematisch. Doch dies hat sich teilweise geändert. Die Hoffnung von Verbrauchern auf höhere Auszahlungen schwinden mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom Donnerstag: Lebensversicherungen dürfen den Großteil ihrer Kursgewinne aus Wertpapieranlagen im Unternehmen behalten – nur einen kleinen Teil müssen sie bei Kündigungen oder beim Ablauf von Versicherungen an Kunden ausschütten. Damit wies das Landgericht eine Klage von Verbraucherschützern, des Bundes der Versicherten (BdV), gegen die VictoriaVersicherung im Ergo-Konzern ab.
„Wir werden jetzt den Weg zum Bundesgerichtshof einschlagen“, sagte BdV-Chef Axel Kleinlein. Bei den Versicherungen schlummerten Bewertungsreserven von mehreren Milliarden Euro. Daran müssten die Versicherten beteiligt werden.
Hintergrund ist eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2014, die das Kappen der Ausschüttungen möglich machte. Der Gesetzgeber wollte damit die Versicherungen angesichts der extremen Niedrigzinsen und entsprechend geringen Anlageerträgen stärken. Dieser Argumentation folgte das Gericht: Wegen der niedrigen Zinsen habe die konkrete Gefahr bestanden, dass einige Lebensversicherer ihre den Kunden vertraglich zugesagten Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften konnten, hieß es in der Begründung. Deshalb sei das Gesetz von 2014 nicht zu beanstanden. „Es ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch diese Neufassung gewichtige Interessen des Allgemeinwohls verfolgte“, hieß es weiter.
Die Verbraucherschützer halten die Rechtsänderung für verfassungswidrig, weil die Kapitalgewinne mit den Geldern der Kunden erwirtschaftet worden seien. BdV-Chef Kleinlein nannte die Kürzung der Bewertungsreserven „faktisch eine Enteignung“. Eine Ergo-Sprecherin wollte sich zu dem Fall nicht äußern, da das gerichtliche Verfahren ja weitergehe. Im konkreten Fall ging es um gut 2600 Euro.
(dpa) - Für Lebensversicherungskunden geht es um bares Geld. Dürfen die Assekuranzen die Ausschüttung von Kursgewinnen – sogenannte Bewertungsreserven – kappen oder nicht? Das Landgericht Düsseldorf hat am Donnerstag entschieden, dass die gesetzlich verordnete Beschränkung rechtens ist. Damit ist das Thema allerdings noch nicht vom Tisch. Fragen und Antworten zu dem Thema sind nachfolgend zusammengefasst.
Was sind Bewertungsreserven?
Bewertungsreserven speisen sich aus Kursgewinnen etwa von Aktien und festverzinslichen Wertpapieren, aber auch von Immobilien. Sie sind in der Bilanz ausgewiesen, stehen also „in den Büchern“. Buchgewinne kommen zustande, wenn der Marktwert der gehaltenen Papiere steigt. Die Buchwerte festverzinslicher Papiere, die Versicherer vor Jahren erworben haben, sind in der Zinsflaute deutlich gestiegen. Entsprechend hoch fiel die Beteiligung der Kunden aus. Die Bewertungsreserven sind Teil der Gesamtverzinsung am Ende der Vertragslaufzeit.
Was ist das Problem?
Die Zinsflaute trifft klassische Rentenund Lebensversicherungen besonders hart. Die Versicherer können die hohen Garantieversprechen der Vergangenheit kaum noch am Kapitalmarkt erwirtschaften. Um die Branche zu stabilisieren, trat im August 2014 das Gesetz zur Reform der Lebensversicherung (LVRG) in Kraft. Seitdem dürfen die Assekuranzen Kursgewinne aus festverzinslichen Wertpapieren nur noch in dem Maße ausschütten, wie Garantiezusagen für die restlichen Versicherten sicher sind. Zuvor hatten Unternehmen immer mehr hochprozentige Papiere verkaufen müssen, um scheidende Kunden an den üppigen Reserven zu beteiligen – zulasten der großen Mehrheit der anderen Versicherten, deren Verträge weiterlaufen. „Man hätte die Beteiligung an den Bewertungsreserven 2008 gar nicht einführen dürfen, weil es nicht der Logik des Lebensversicherungssparens entspricht“, argumentiert Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata. Für Aktien und Immobilien gilt die gesetzlich verordnete Kappung nicht. Den größten Teil der Kundengelder legen Versicherer allerdings in festverzinslichen Papieren an, zum Beispiel Staatsanleihen.
Welche Folgen hat die Gesetzesänderung für Verbraucher?
Sie bedeutet für ausscheidende Kunden weniger Geld als zunächst erhofft. In der Vergangenheit hatten Verbraucher am Ende des Vertrages die Hälfte der Bewertungsreserven erhalten, die auf ihre Lebensversicherung entfielen.
Worum ging es in dem Verfahren in Düsseldorf ?
Geklagt hatte der Bund der Versicherten (BdV), der einen ehemaligen Kunden der zum Ergo-Konzern gehörenden Victoria Lebensversicherung vertritt. Der BdV hält die Regelungen des Gesetzes für verfassungswidrig. Weil die Kapitalgewinne mit den Geldern der Kunden erwirtschaftet worden seien, müssten sie daran beteiligt werden. Die Versicherung sei daher nicht berechtigt, die Beteiligung an den Bewertungsreserven zu kappen. Das Unternehmen hatte dem Kunden vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Beteiligung von 2821,35 Euro in Aussicht gestellt. Später waren es nur noch 148,95 Euro.
Wie haben die Gerichte entschieden?
Sowohl das Amtsgericht als jetzt auch das Landgericht Düsseldorf wiesen die Klage ab. Das Landgericht erklärte, wegen der niedrigen Zinsen habe die konkrete Gefahr bestanden, dass einige Lebensversicherer ihre vertraglich zugesagten Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften konnten. „Es ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch diese Neufassung gewichtige Interessen des Allgemeinwohls verfolgte“, hieß es in der Urteilsbegründung. (Az. 9 S 46/16)
Wie geht es jetzt weiter?
Das Gesetz zur Reform der Lebensversicherung dürfte die Gerichte weiter beschäftigen. Der Bund der Versicherten kündigte an, vor den Bundesgerichtshof zu ziehen. Dort könnten die Entscheidungen der Vorinstanzen korrigiert werden. „Ansonsten setzen wir darauf, dass am Ende des Verfahrens das Bundesverfassungsgericht den Verbrauchern wieder zur Seite springt und den Gesetzgeber zur Korrektur dieses verbraucherfeindlichen Gesetzes ermahnt“, erklärte der Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein.