Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Straßenblockaden gegen die Wahl
Verfassungsabstimmung spaltet Venezuela – Präsident Maduro erwartet „großen Sieg“– Opposition wittert Betrug
- Überschattet von neuer Gewalt hat Venezuela am Sonntag die umstrittene Verfassunggebende Versammlung gewählt, mit der Präsident Nicolás Maduro den Krisenstaat nach eigenen Worten wieder befrieden will. Mindestens sechs Menschen sind dabei nach verschiedenen Angaben bis zum Mittag getötet worden, darunter ein Kandidat für die „Asamblea Nacional Constituyente“(ANC).
Der Anwalt José Felix Pineda sei in der Nacht zum Sonntag in seinem Haus ermordet worden, teilte die Regierung mit. Auch ein Jungpolitiker der Oppositionspartei AD starb. Er wurde am Sonntag bei einer Protestveranstaltung gegen die Wahl getötet. Nach Medienangaben starben in der Stadt Mérida weitere drei Menschen. Seit Anfang April kommt es fast täglich zu Protesten gegen die Regierung. Dabei sind bisher rund 115 Menschen getötet worden.
Kampfzone im Osten von Caracas
Das Situation in Venezuela hätte am Sonntag nicht unterschiedlicher sein können. Während in den Bastionen von Präsident Maduro und der regierenden Sozialistischen Einheitspartei PSUV in Caracas friedlich gewählt wurde, glich vor allem der Osten der Hauptstadt wieder einer Kampfzone. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Wahllokale wurden angezündet. Schon in der Nacht auf den Wahltag hatten Gegner des autokratischen Präsidenten dort Straßenblockaden aufgebaut, um die Abstimmung zu verhindern. Dort lebt vor allem die Mittel- und Oberschicht.
Die Regierung hatte am Donnerstag alle Proteste und Demonstrationen verboten, damit die Wahl ungestört verlaufen kann. Aber in der aufgeheizten politischen Stimmung kam es am Sonntag immer wieder zu Zusammenstößen. Polizei und Nationalgardisten sicherten im ganzen Land die Wahlzentren. An manchen Wahllokalen kam es zu langen Schlangen, andere blieben weitgehend leer. Viele Wähler beschwerten sich über die schlechte Organisation der Abstimmung. Die Wahllokale sollten bis Mitternacht deutscher Zeit am Sonntag geöffnet bleiben. Über die Bekanntgabe der Ergebnisse teilte der Wahlrat CNE zunächst nichts mit.
Mit der Bestimmung einer 545köpfigen Verfassunggebenden Versammlung, die schon von dieser Woche an zusammentreten soll, betritt Venezuela unsicheres Terrain. International wird die Isolation zunehmen. Und im Land selber werden sich die Gräben noch einmal ein Stück weiter vertiefen. Maduro hatte am Samstagabend einen „großen Sieg“für das Regierungslager vorausgesagt und die ANC als die „wichtigste Wahl“bezeichnete, die jemals „in Venezuelas politischem System“organisiert wurde. Für die Opposition und weite Teile der Internationalen Gemeinschaft ist die ANC ein institutioneller Putsch, mit dem Maduro seine Macht zementieren wolle.
Das Gremium und seine Entscheidungen werden aller Voraussicht nach von der Internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. Die USA haben mit weiteren Sanktionen gedroht, die Europäische Union ist besorgt um die demokratische Stabilität des südamerikanischen Landes, und das Nachbarland Kolumbien hat schon vor der Wahl erklärt, es werde die ANC als ungültig betrachten.
Gegner auch im eigenen Lager
Auch innerhalb des Regierungslagers hat Maduro viele Gegner. Mehrere „Chavisten“, darunter Ex-Minister und die Generalstaatsanwältin haben sich in den vergangenen Wochen gegen die ANC ausgesprochen, da sie die Frontstellung im Land zwischen Opposition und Regierung vertiefen wird und die Demokratie westlichen Zuschnitts abschaffen könnte. Es ist damit zu rechnen, dass die ANC die Gewaltenteilung in Venezuela aufhebt, indem das Parlament entmachtet oder geschlossen und die Unabhängigkeit der Justiz formell beendet wird.
Nach einem Dekret von Staatspräsident Maduro soll die ANC ihre Arbeit 72 Stunden nach der Wahl aufnehmen – für unbestimmte Zeit. Als Ort ist der Sitz der Nationalversammlung vorgesehen. Man muss annehmen, dass das oppositionelle Parlament so nicht nur verlegt, sondern gleich geschlossen werden soll.
Freddy Guevara, Vize-Präsident der Nationalversammlung und führender Oppositionspolitiker, sagte am Sonntag: „Gleich am Montag werden wir neue Aktionen, Taktiken und Strategien präsentieren, um der neuen Wirklichkeit zu begegnen, in der wir leben.“Details gab Guevara nicht bekannt.