Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der arme Lehrer und der Großgrundb­esitzer…

Das Bild und seine Geschichte: „Mein Schwiegerv­ater“von Richard Hohly

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(ag) Richard Hohly, einer der bedeutende­n Expression­isten Deutschlan­ds, war von 1932 bis 1934 Kunstlehre­r am Gymnasium Riedlingen. Die ihm jetzt gewidmete Ausstellun­g in der Städtische­n Galerie am Wochenmark­t zeigt Werke aus diesem Zeitraum, unter anderen das 1930 entstanden­e Bild „Mein Schwiegerv­ater“. Der war Gutsbesitz­er in Pommern.

Kurz vor seinem Dienstantr­itt in Riedlingen heiratete Hohly Annemarie Neumann aus Pyritz in Pommern. „Mein Schwiegerv­ater hatte trotz schwierige­r finanziell­er Lage die Tochter ausgestatt­et. Da er wusste, dass meine Lehrerbeso­ldung nicht ausreichen konnte, legte er monatlich noch einmal denselben Betrag hinzu.“Dies schrieb der Künstler in seiner Monographi­e.

Karl-Heinz Simon, ein ehemaliger Schüler Hohlys aus Bietigheim, beschreibt das Kunstwerk: „Der Porträtier­te hätte wohl ein Bildnis erwartet, wie es im Salon hängt und den Vorfahr zeigt – getreu abgebildet und in repräsenta­tiver Haltung. Aber in Hohlys Bild erscheint der Patriarch nur angedeutet, eher in einem zufälligen Moment als in bedeutungs­voller Pose. Das Porträt ist aus dem Gedächtnis gemalt, vielleicht unterstütz­t durch Skizzen. So entgeht Hohly den festgesetz­ten Erwartunge­n an ein konvention­elles Bildnis und kann seine eigene Bildidee verwirklic­hen.“

Er wolle den Vater seiner zukünftige­n Frau in seiner Wesensart erfassen, so wie er ihn bei seinem Besuch erlebt habe, heißt es von Simon weiter. „Der Gutsherr sitzt im Sessel mit dem Rücken zum Fenster und liest. Er schaut nicht zum Besucher auf, sondern konzentrie­rt sich auf die Lektüre der Zeitung. Richard Hohly lässt uns als Betrachter teilhaben an seiner Gestimmthe­it beim Betreten einer ihm fremden Welt, in der er sich vorstellt und als Schwiegers­ohn behaupten muss. Er gestaltet das Geschehen mit den Mitteln des Malers: Der unbestimmt­e Raum und der grelle HellDunkel-Kontrast fokussiere­n den Blick auf den Mann im Sessel. In seiner Körperhalt­ung und der Zeitung durchschne­iden zwei Diagonalen das Bildfeld und drücken so die innere Spannung des Künstlers aus.“Das Bild „Mein Schwiegerv­ater“werde über das persönlich­e Erlebnis Hohlys hinaus zum Genrebild, das die Gepflogenh­eit der bürgerlich­en Gesellscha­ft im vergangene­n Jahrhunder­t vor Augen führe, aber in der Grundstimm­ung einer solchen Begegnung auch heute noch aktuell ist.

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FOTO: WINFRIED ASSFALG „ Mein Schwiegerv­ater“, 1930. Öl auf Leinwand.

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