Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rene Stauß hat die Zukunft im Blick
Nach 8009 Punkten in dieser Saison beendet der Benzinger Zehnkämpfer seine Karriere
SIGMARINGEN - Rene Stauß, Hochspringer und Zehnkämpfer aus Benzingen, hat seine aktive Karriere beendet (die „Schwäbische Zeitung“berichtete). Der 30-Jährige, inzwischen stellvertretender Geschäftsführer des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes (WLV), will sich in Zukunft um seine Aufgaben im Verband und um die Heranführung und Ausbildung von Talenten kümmern.
Rene Stauß erklärte just seinen Rücktritt in dem Jahr, in dem er erstmals mehr als 8000 Punkte in einem Zehnkampf erzielte und damit zu einem illustren Kreis gehört, der in Deutschland - in der Geschichte dieser Sportart - gerade mal 50 Athleten umfasst (weltweit rund 250). Dennoch: Aus seiner Sicht hat er den richtigen Zeitpunkt erwischt. Auf dem Höhepunkt aufzuhören ist nicht jedem Sportler vergönnt. „Die Gesamtbelastung war einfach zu hoch, die vergangenen beiden Jahre extrem hart. Wenn du mindestens 40 Stunden in der Woche arbeitest und dann noch als Leistungssportler trainieren sollst: Das geht einfach nicht“, sagt Rene Stauß. Als er das sagt sitzt er just dort, wo vor vielen Jahren (fast) alles begann: im Leichtathletikstadion der LG Sigmaringen. Stauß, der in den vergangenen Jahren für die LG Stadtwerke Tübingen startete, nach Stationen in Winterlingen und Sigmaringen, bei den Stuttgarter Kickers und dem VfL Sindelfingen hat auf einem alten Holzstuhl im Geräteschuppen des Sigmaringer Stadions Platz genommen und denkt noch einmal an die vergangenen, intensiven Jahre. „Der Rest des Tages - neben der Arbeit - war komplett mit Training gefüllt. Ich hatte überhaupt keine Zeit für was anderes“, sagt er.
Die 8000 Punkte hatte Stauß, der erst im Jahr 2012 zum Zehnkampf kam, eigentlich schon abgehakt. „Klar, zu Beginn dieser Saison hatte ich mir die 8000 Punkte zum Ziel gesetzt, doch so wie die Saison verlief, habe ich beim Thorpe-Cup in Düsseldorf die 7500 oder 7600, bei optimalem Verlauf vielleicht die 7700 Punkte angepeilt“, erinnert sich Stauß an eine nicht komplikationslose Saisonvorbereitung.
Doch sein Start im Ländervergleichskampf mit den USA brachte nach Punkten seinen Karrierehöhepunkt. Denn für Stauß sind die 8009 Punkte von Düsseldorf persönlicher Rekord. Damit belegte er in diesem Jahr beim Thorpe-Cup Rang zwei hinter Einzelsieger Ituah Enahoro (Bayer Uerdingen/Dormagen; 8028 Punkte).
„Eigentlich war klar, dass ich danach aufhöre“, sagt der bodenständige Stauß. Nur kurz habe Euphorie geherrscht. „Aber ich bin nicht unrealistisch. Mit dem Aufwand, den ich betreiben kann, ist das das Maximum“, sagt Stauß und verweist auf die Fülle an Klasseathleten vor ihm, die Deutschland derzeit wieder einmal hat.
Fortschritt unter Aki Schmid
Eigentlich begann Rene Stauß als Hochspringer, trainierte ab 1993, im Alter von sechs Jahren, zunächst bei der LG Winterlingen, ehe er 2005 zur PSG Sigmaringen kam, unter Aki Schmid zum Klasseathleten reifte wie Sprinter Alex Schaf, Weitspringer Max Kottmann oder Kugelstoßer und Bob-Bremser Markus Reichle. Schmid führte Stauß 2006 zur deutschen Jugend-Hallenmeisterschaft im Hochsprung, 2008 gewann Stauß den süddeutschen Juniorentitel und wurde Zweiter der Süddeutschen Meisterschaft bei den Männern und deutscher Vizemeister bei den Junioren - jeweils im Hochsprung. „Unter Aki Schmid habe ich mich von anfangs 1,68 Meter auf 2,16 Meter gesteigert“, erinnert sich Stauß an eine wahre Explosion.
Nach dem Abitur am Hohenzollern-Gymnasium in Sigmaringen wechselte Stauß nach Stuttgart. Er studierte Sportwissenschaft und Sportmanagement in Stuttgart-Vaihingen und Tübingen, wohnte im Haus der Athleten und trainierte am Olympiastützpunkt in Stuttgart unter Tamas Kiss, heute Bundestrainer der Dreispringer. Das harte Training osteuropäischer Schule wirkte sich nicht positiv aus. Immer wieder bremsten Verletzungen den Schwaben aus. unter anderem ein Knochenmarködem und ein Patellaspitzensyndrom. Stauß steigerte sich in dreieinhalb Jahren nur um einen Zentimeter, auf 2,17 Meter: „Das war nicht, was ich wollte.“
Da die gesundheitlichen Probleme verhinderten, dass er seine Karriere als reiner Hochspringer fortführte, musste eine Lösung her. Der Weg zum Mehrkampf führte schließlich über ein Auslandssemester an der University of Virginia, wo er 2011 ein Stipendium erhalten hatte. „Ich bin ja früher schon gerne bei anderen Wettbewerben gestartet, wie zum Beispiel beim Werfertag in Altshausen“, erklärt Stauß seinen Start in den USA bei einem Hallensiebenkampf. Der sympathisch-ruhige Schwabe fand Geschmack daran. Im Jahr darauf bestritt Rene Stauß seinen ersten Zehnkampf, erzielte gleich über 7500 Punkte. „Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich kontinuierlich gesteigert.“Stauß wechselte im Weitsprung den Absprungfuß auf rechts, arbeitete fortan mit Peter Rapp, einem ehemaligen 8,10-MeterSpringer zusammen. „Er hat mir im Weitsprung den Feinschliff gegeben. Wir haben insgesamt vielseitiger trainiert“, erinnert sich Stauß. Auch um den Körper zu entlasten. Stauß gewann 2012 und 2013 Bronze bei den deutschen Meisterschaften und erzielte 2013 - fast nebenbei - im Hochsprung eine neue Bestmarke: 2,18 Meter. 2014 in Vaterstetten folgte schließlich der bis zu diesem Zeitpunkt größte Erfolg seiner Karriere: Deutscher Zehnkampfmeister.
„13 000 Teilnehmer, verteilt auf 22 Hochhäuser, eine Tiefgarage als Mensa. Ein unvergessliches Erlebnis.“
Rene Stauß über die Teilnahme an der Universiade im Jahr 2015 in Südkorea.
2015 schließlich steigerte er sich auf 7907 Punkte. Damit gewann Stauß bei der Universiade in Gwangju Bronze. Für ihn einer der Höhepunkte seiner Laufbahn. „13 000 Teilnehmer, verteilt auf 22 Hochhäuser, eine Tiefgarage als Mensa. Ein unvergessliches Erlebnis“, erinnert sich Stauß. In diese Kategorie fällt auch die Freundschaft mit Fabian Hambüchen, den er in Südkorea kennenlernte. Beide feuerten einander an. „Plötzlich rief es von der Tribüne: Auf geht’s Rene“, sagt Stauß und lacht. 2016 schließlich startete Stauß - die „großen Drei“nahmen an den Olympischen Spielen teil - bei der Europameisterschaft in Amsterdam. Dort belegte er Rang 17, trotz eines „Salto Nullo“, also dem Reißen der Anfangshöhe, im Stabhochsprung, für Stauß die kniffligste Disziplin. Gleich mehrfach startete Stauß für Deutschland beim Thorpe-Cup, belegte - neben seinem zweiten Platz in diesem Jahr - 2014 und 2015 jeweils den dritten Platz in der Einzelwertung und gewann den Cup mit dem Team 2017, 2015 und 2014. Zweimal führte er die DLV-Auswahl als Kapitän ins Stadion. Bis heute hält er im Rahmen des Thorpe-Cups die Bestmarke im Hochsprung mit 2,16 Metern (2012). Da lässt es sich auch verschmerzen, dass ein Traum unerfüllt bleibt,einmal in Götzis zu starten. „Das bleibt unerfüllt“, sagt Stauß, jedoch ohne Wehmut.
Jetzt also folgt die berufliche Karriere nach der sportlichen Laufbahn. Stauß hätte auch in die freie Wirtschaft wechseln können. Doch auch Stauß Entscheidung pro WLV sagt viel aus. Stauß will gestalten, helfen, den Sport zu reformieren und kriegt viel Lob von allen Seiten, auch von seinem „Chef“, Präsident Jürgen Scholz, aber auch von Geschäftsführer Gerhard Müller, der in Stauß längst seinen potenziellen Nachfolger sieht. Als Bildungsreferent organisierte Stauß in den vergangenen Monaten bereits zehn Tage der Kinder-Leichtathletik für 3500 Kinder. „Mein Ziel ist es, weitere Projekte mit Schulen anzustoßen, auch um die Kinder wieder verstärkt zur Leichtathletik zu bringen. Ich möchte die Kinderleichtathletik und die Ausbildung noch flexibler gestalten“, kündigt er an. „Aber sanft, nicht mit dem Vorschlaghammer. Aber es entwickelt sich positiv.“In naher Zukunft wünscht sich Stauß so einen Tag auch in Sigmaringen. „Daran arbeiten wir gerade.“Rene Stauß’ Blick geht nach vorne.