Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit dem Heiland gegen den Müll
Palermos Bürger setzen auf die religiöse Ehrfurcht
PALERMO - Die örtlichen Priester nennen es das Müllwunder von Palermo. Man könnte es auch einen raffinierten Trick der Bewohner nennen. Diese haben nämlich, nachdem sämtliche Appelle an die Stadtverwaltung nicht gefruchtet haben, an vielen Straßen der Stadt Marien- und Christusfiguren aufgestellt. Im immer noch sehr gläubigen Sizilien wagen es nämlich selbst die hartgesottensten Müllsünder nicht, angesichts einer solchen Statue illegal ihren Müll zu entsorgen – wie sie es jahrzehntelang skrupellos getan haben.
Im Stadtteil Croceverde verbindet die Via Gibilrossa den Süden der Stadt mit dem Zentrum. Es ist eine Ausfallstraße, an der sich nur wenige Wohnhäuser erheben. Perfekt zum illegalen Abladen von Müll, abends und nachts, nach Einbruch der Dunkelheit. Ausrangierte Kühlschränke und Fernseher, Säcke mit Bauschutt und Haushaltsmüll aller Art. Bis vor wenigen Wochen war die Via Gibilrossa von Abfällen gesäumt. Doch dann kam die Madonna und alles änderte sich.
„Ich wohne hier seit 1956 und Müll wurde hier immer wieder entsorgt und blieb Monate lang liegen, bevor er abtransportiert wurde“, erklärt Fabio Casamucci, ein Anwohner der Via Gibilrossa. „Doch seit einigen Wochen ist das alles anders.“
Seit sich in der Via Gibilrossa am rechten Straßenrand, etwa in der Mitte der Straße, eine Madonnenskulptur erhebt, zirka eineinhalb Meter hoch und aus weißem Gips. Sie steht auf einem Sockel und ist für Autofahrer gut sichtbar. Vor der Madonna stecken in mehreren Vasen frische Blumen und solche aus Kunststoff. Von Müll keine Spur mehr. Fast die gesamte Straße wird nicht mehr durch illegal entsorgten Abfall verunziert. In der gleichen Straße erhebt sich einige Hundert Meter weiter auch eine Christusskulptur, die denselben Effekt hat.
Dass Madonnen-, Christus- und Heiligenfiguren auch anderswo das, „Müllwunder“vollbringen, wie Italiens Printmedien vermelden, lässt sich an verschiedenen Orten in Palermo besichtigen. Etwa in Mondello, dem Strandviertel von Palermo.
„La Santuzza, die Heilige, wie hier unsere Stadtpatronin Rosalia genannt wird, hat auch in Mondello den Müll verschwinden lassen“, berichtet der katholische Geistliche Antonio De Carli. „Die Skulptur steht auf dem Bürgersteig, der seitdem sauber ist.“
Alle Skulpturen sind geweiht
Das Müllwunder ist aufgebrachten Bürgern zu verdanken, die sich zusammengetan haben, um endlich etwas gegen die chronische und illegale Abfallentsorgung auf städtischen Straßen zu unternehmen. Mit einem gewieften Trick, wie Mara Clerucci erklärt, die für die Aufstellung von bisher acht Madonnen- und Heiligenskulpturen mitverantwortlich ist.
„Wir haben zahllose Male die Stadtverwaltung aufgefordert den Müll wegzuräumen, doch nichts ist geschehen“, klagt die Signora. „Wir brachten Videokameras an, um die Müllfrevler aufzuspüren, doch die Kameras wurden zerstört. Aber seit die geweihten Skulpturen in den Straßen stehen, wird dort kein Müll mehr entsorgt.“
Die aufgebrachten Bürger finanzieren ihr Projekt aus eigener Tasche. Sie waren es leid, sich immer wieder vergeblich an die für die Müllbeseitigung verantwortlichen Institutionen zu wenden. Die Skulpturen sind allesamt von katholischen Geistlichen wie Antonio de Carli während einer Zeremonie geweiht worden und werden folglich von allen Anwohnern verehrt.
Der Trick mit den geweihten Skulpturen funktioniert deshalb so gut, weil Siziliens Müllfrevler, wie alle ihre Landsleute, sehr gläubig sind, mit einem kräftigen Hang zum Aberglauben. „Für einen sizilianischen Gläubigen – und gläubig sind hier sogar die Mafiabosse – ist es unmöglich, in einer Straße im direkten Blickkontakt zu einer geweihten Skulptur Müll illegal abzuladen“, erklärt der an der Hochschule Palermo lehrende Kulturanthropologe Franco La Cecla. Das sei, so der Fachmann, ein mentaler Mechanismus, dem hier niemand widerstehe.
Ein Mechanismus, der immerhin dazu führt, dass auf immer weniger Straßen Palermos Müllkippen zu finden sind. Zur großen Freude der Bürger und der lokalen Kirche, denn sie sieht im Müllwunder von Palermo ein Zeichen dafür, dass die Menschen doch noch Ehrfurcht vor religiösen Symbolen haben.