Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Hashtag schreibt Geschichte
#MeToo: „Time“-Magazin würdigt Internet-Kampagne gegen Sexismus
NEW YORK (dpa) - Gerade einmal zwei Monate sind die Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen Filmmogul Weinstein alt, seitdem kommt das US-Entertainment nicht mehr zur Ruhe. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Berichte aus der Film-, Fernseh- oder Medienwelt. Auch in Politik und Wirtschaft, in Wissenschaft und Sport und über die USA hinaus wird offen über Missbrauch, Sexismus und Macho-Kultur gesprochen, teils mit drastischen Folgen für die mutmaßlichen Täter. Nun hat das „Time“-Magazin die Frauen und Männer, die die #MeToo-Bewegung ins Rollen brachten, gebündelt zur „Person des Jahres“2017 gekürt.
„The Silence Breakers“(diejenigen, die ihr Schweigen brechen) titelte das bald 100 Jahre alte Gesellschaftsmagazin am Mittwoch – und zeigt auf dem Cover diejenigen, die mit teils haarsträubenden Berichten an die Öffentlichkeit gingen. Schauspielerin Ashley Judd ist dabei, die die Affäre um Weinstein gemeinsam mit anderen Frauen ins Rollen brachte – Weinstein weist die Vorwürfe zurück. Sängerin Taylor Swift ist ebenfalls abgebildet. Sie hatte einen Radiomoderator erfolgreich verklagt, der sie begrapscht hatte.
Prominente Gesichter wie Judd und Swift mögen die Bewegung symbolisch anführen. Doch sie besteht aus Frauen und Männern aus allen Gesellschaftsbereichen, Schichten, Einkommensgruppen und Ländern der Welt, schreibt „Time“. Sechs Wochen lang hatte „Time“Dutzende Betroffene aus zahlreichen Branchen befragt. Fast alle hätten eine „vernichtende Angst“davor gehabt, die Fälle zu melden. Um die Spannweite zu verbildlichen, lud „Time“Missbrauchsopfer zum Gespräch, deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten: Mit dabei waren etwa eine mexikanische Feldarbeiterin unter dem Pseudonym Isabel Pascual und eine Krankenhausangestellte aus Texas. Die hochschwangere Software-Entwicklerin Susan Fowler kam ebenfalls dazu. Sie hatte den von Sexismus geprägten Alltag beim Fahrdienstanbieter Uber beschrieben und Uber-Chef Travis Kalanick damit aus dem Amt getrieben. Auch dabei: Adama Iwu, eine Lobbyistin aus Sacramento, die „mehr Miete zahlt als Pascual in zwei Monaten verdient“.
Über Nacht 30 000 Tweets
Ein großes Thema waren Sexismus und Missbrauch bereits das ganze Jahr über, auch schon vor dem Fall Weinstein. Zu verdanken haben die USA das keinem Geringeren als Präsident Donald Trump, der schon im Wahlkampf mit derben Kommentaren aufgefallen war.
Dass die Bewegung mit #MeToo eine Art übergreifende Bezeichnung hat, ist Schauspielerin Alyssa Milano zu verdanken. Sie hatte den Begriff von Aktivistin Tarana Burke übernommen und im Oktober dazu aufgerufen, sich als Opfer sexueller Übergriffe zu erkennen zu geben. Am Morgen nach ihrem Tweet hatten mehr als 30 000 Menschen den Hashtag verwendet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Entscheidung des Magazins, die an der Kampagne beteiligten Frauen und Männer zu würdigen. „Wir haben ihnen für den Mut zu danken, das Schweigen über sexuelle Übergriffe zu brechen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch im Kurzbotschaftendienst Twitter im Namen der Kanzlerin.